Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
zufriedenstellenden Antworten hatte.
    Vor ihnen lag der Strawford-Park. Vor Ralphs Augen gingen plötzlich die Straßenlampen an. Der kleine Spielplatz, wo er und McGovern - oft in Gesellschaft von Lois - den Kindern beim Spielen zugesehen hatten, war fast verlassen. Zwei Kids, die zur Junior High gingen, saßen nebeneinander auf den Schaukeln, rauchten Zigaretten und unterhielten sich, aber die Mütter mit Kleinkindern, die tagsüber hierher kamen, waren alle fort.
    Ralph dachte an McGovern - an sein unablässiges morbides Geschwätz und sein Selbstmitleid, was einem kaum
auffiel, wenn man ihn anfangs kennenlernte, aber allgegenwärtig zu sein schien, wenn man länger mit ihm zusammen war, und an seinen respektlosen Witz und die überraschenden, impulsiven Freundlichkeiten, die beides gemildert und in etwas Besseres verwandelt hatten - und spürte, wie ihn eine tiefe Traurigkeit überkam. Kurzfristige waren vielleicht Sternenstaub, und sie waren vielleicht golden, aber wenn sie fort waren, dann waren sie fort, genau wie die Mütter und Kleinkinder, die an sonnigen Sommernachmittagen für kurze Zeit zum Spielen hierher kamen.
    [»Ralph, was machen wir hier? Das Leichentuch ist über dem Bürgerzentrum, nicht über dem Strawford-Park!«]
    Ralph führte sie zu der Parkbank, wo er sie vor mehreren Jahrhunderten gefunden hatte, als sie wegen eines Streits mit ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter weinte … und wegen ihrer verlorenen Ohrringe. Unten am Hügel glänzten die beiden Portosans in der zunehmenden Dämmerung.
    Ralph schloss die Augen. Ich werde verrückt, dachte er, und ich bin mit dem Schnellzug dorthin unterwegs, nicht mit der Bummelbahn. Was wird es sein? Die Dame … oder der Tiger?
    [»Ralph, wir müssen etwas tun. Die Menschen … Tausende von Menschen …«]
    In der Dunkelheit hinter seinen geschlossenen Lidern sah Ralph jemanden aus dem Red Apple kommen. Eine Gestalt in dunklen Cordhosen und einer Red-Sox-Mütze. Gleich würde das Schreckliche wieder seinen Lauf nehmen, und weil Ralph es nicht sehen wollte, schlug er die Augen auf und betrachtete die Frau neben sich.

    [»Jedes Menschenleben ist wichtig, Lois, würdest du das nicht auch sagen? Jedes einzelne.«]
    Er wusste nicht, was sie in seiner Aura sah, aber es bereitete ihr eindeutig Todesängste.
    [»Was ist da unten passiert, nachdem ich gegangen bin? Was hat er dir gesagt oder getan? Sag es mir, Ralph! Sag es mir!«]
    Was sollte es sein? Eines oder viele? Die Dame oder der Tiger? Wenn er nicht bald handelte, würde ihm die Entscheidung einfach von der verrinnenden Zeit aus der Hand genommen werden. Also was? Was?
    »Keines … oder beides«, sagte er heiser und merkte in seiner schrecklichen Zwickmühle gar nicht, dass er es laut und auf mehreren Ebenen gleichzeitig aussprach. »Ich werde mich nicht so oder so entscheiden. Niemals. Habt ihr gehört?«
    Er sprang von der Bank auf und sah wild um sich.
    »Habt ihr mich gehört?«, schrie er. »Ich lehne die Entscheidung ab! Ich will BEIDES oder KEINS VON BEIDEM!«
    Auf einem der Wege nördlich von ihnen sah ein Penner auf, der nach Pfandflaschen und -dosen gesucht hatte, warf einen Blick auf Ralph und suchte das Weite. Er hatte einen Mann gesehen, der in Flammen zu stehen schien.
    Lois stand auf und nahm sein Gesicht zwischen die Hände.
    [»Ralph, was ist denn? Wer ist es? Ich? Du? Denn wenn ich es bin, wenn du dich wegen mir zurückhältst, möchte ich nicht …«]
    Er tat einen tiefen, beruhigenden Atemzug, dann legte er seine Stirn an die ihre und sah ihr in die Augen.

    [»Du bist es nicht, Lois, und ich auch nicht. Wäre es einer von uns, könnte ich mich vielleicht entscheiden. Aber wir sind es nicht, und der Teufel soll mich holen, wenn ich mich weiter wie ein Bauer auf dem Schachbrett herumschieben lasse.«]
    Er riss sich los und ging einen Schritt von ihr weg. Seine Aura loderte so grell auf, dass sie die Hand vor die Augen halten musste; es war, als würde er irgendwie explodieren. Und als er die Stimme erhob, hallte sie wie Donner in ihrem Kopf.
    [»KLOTHO! LACHESIS! KOMMT ZU MIR, VERDAMMT, UND ZWAR SOFORT!«]

3
    Er ging zwei oder drei Schritte weiter und sah bergab. Die beiden auf den Schaukeln sitzenden Jungs von der Junior Highschool sahen mit denselben erschrockenen, ängstlichen Mienen zu ihm auf. Kaum dass Ralphs Blick auf sie gefallen war, sprangen sie auf und liefen, aufgeschreckt wie zwei Rehe, geradewegs zu den Lichtern der Witcham Street; die schwelenden Zigaretten ließen

Weitere Kostenlose Bücher