Schlaflos
erste Mal, dass ich Feinde getötet habe. Der Kampf hat mich Energie
gekostet. Deshalb werde ich dunkler.«
Madeleine wählte ihre Worte mit Bedacht. Auf ihrer ablehnende
Haltung zu bestehen war unmöglich geworden. Außerdem konnte sie nicht in ihre
Wohnung zurückkehren. Nicht einmal, um ein paar persönliche Dinge zu holen. Wie
Bastiens Schergen das fertigbrachten, hatte sie nie herausgefunden. Aber sobald
es ihnen gelang, sie aufzuspüren, war ihr Unterschlupf auch nicht mehr sicher.
Madeleine riss sich zusammen. Auf keinen Fall wollte sie
Armand wissen lassen, wie verloren sie sich fühlte, oder welche wirren Gefühle
und Gedanken er in ihr auslöste. Schon gar nicht, während sie in nichts als
eine Decke gehüllt vor ihm hockte.
Dass er sie hierher getragen haben musste, erschein ihr
peinlich genug. Sie hoffte nur, dass ihr Federkleid sich erst später aufgelöst
hatte.
»Ich würde dir gerne helfen, aber - wenn mein Vater
Nachforschungen angestellt hat, dann hat er das nie erwähnt.« Sie kniff
konzentriert die Augen zusammen. »Er ist kurz vor dem Überfall nach Hause
gekommen. Vielleicht hat er meiner Mutter anvertraut, wo er war.« Sie zuckte
die Schultern. »Tatsächlich glaube ich, nicht einmal sie wusste, was genau er
tat.«
»Du hast selbst gesagt, dass deine Erinnerung an die Zeit vor
der Wandlung nicht besonders gut ist«, ermahnte er sie. »Es gibt einen Weg, das
zu ändern.«
»Was willst du mit mir machen?«
Er trat näher, ergriff ihre ängstlich gestikulierendende
Hand. »Nichts was dir schadet! Aber ich muss es wissen.«
Er suchte ihren Blick, damit sie die Wahrheit in seinen Augen
erkennen konnte. Sie glaubte in der tiefen Bläue zu versinken. Wenn sie
ablehnte, würden ihre Wege sich endgültig trennen, davon war sie überzeugt.
»Was soll ich tun?«
»Mich zu einer Freundin begleiten.«
Deine Freundin? Sie schluckte die Worte hinunter. »Wer ist sie?«, fragte sie
stattdessen.
»Eine Hexe.« Er sah ihre Reaktion. »Eine weiße Hexe!
Sie hat die Macht, dir zu helfen, dich zu erinnern. Falls es eine Erinnerung
gibt.«
07
Madeleine versank in dem beigefarbenen, opulenten Ledersitz
des Maibach. Armand steuerte die Luxuskarosse souverän über Autobahnen und
kurvige Landstraßen. Sie achtete nicht auf die Straßenschilder und bemerkte es
nur am Rande, als sie die französische Grenze passierten. Der Ort, an den er
sie brachte, spielte im Grunde keine Rolle, nachdem sie zugestimmt hatte, sich
seiner Führung zu überlassen. Den endgültigen Ausschlag dazu hatte eine Flasche
Shampoo gegeben.
Madeleine hatte eine von Armands Hosen und eines seiner
Hemden anprobiert. Aber das Ergebnis sah so grotesk aus, dass sie den Versuch
aufgab. Armand besorgte ihr schließlich etwas zum Anziehen und die wichtigsten
Hygieneartikel.
Er kam mit einer weißen Leinenhose mit Gummibund und einer
farbenfrohen, weiten Tunika zurück. Die Kleidungsstücke waren nicht nur bequem
und würden ihr auch passen, wenn er sich in der Größe katastrophal verschätzt
hätte. Sie harmonierten mit ihrem Teint und ihrem dunklen Haar.
Unter der Dusche nahm sie die Flasche Shampoo, die er ihr
gebracht hatte und las, dass es sich besonders für lockiges Haar eignen sollte.
Madeleine kannte die Marke und mochte sie nicht. Aber dass er versucht hatte,
etwas zu kaufen, was ihrem Typ entsprach, rührte sie. Auf jeden Fall hatte er
ihr Haar bemerkt!
Die seidigen Strähnen glitten durch ihre Finger, während sie
sie mit dem hoteleigenen Föhn trocknete. Ob ihm ihre Locken gefielen?
Der Tag war sonnig, wie die Tage zuvor. Glücklicherweise
musste sie nur die späten Nachmittagsstunden hinter den getönten Scheiben der
Limousine überstehen.
»Im Handschuhfach ist eine Sonnenbrille.«
Madeleine öffnete das Fach und fand zwischen Straßenkarten
und Kugelschreibern ein Brillenetui. Die dunklen Gläser taten ihren
schmerzenden Augen wohl.
»Danke.«
Sie warf Armand verstohlene Blicke zu. Bei Menschen war sie
gewohnt, deren Emotionen zu spüren. Ihr war deutlich bewusst, dass er kein
Mensch war, denn sie fing absolut nichts von ihm auf.
Sie wünschte sich, dass er sie als intelligent und geistreich
wahrnahm. Prompt verkrampfte sich ihr Gehirn. Es wollte ihr nicht gelingen, ein
Gespräch in Gang zu halten. Armand selbst schien kein großes Bedürfnis zu
verspüren, sich zu unterhalten. Normalerweise würde sie die Stille mit Small
Talk füllen. Aber alles, was ihr in den Sinn kam, erschien ihr entsetzlich
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