Schlafwandler
von antibakteriellen
Sulfonamiden. Wolfgang Heink neben ihm war Neurologe und auf
Störungen der unteren Gliedmaße spezialisiert. Der Fette
daneben, der so betrunken war, dass er kaum noch stehen konnte, war
Sigmund Wilderbrunn, Deutschlands führender Facharzt für
Sterilisationsmethoden. Der Kleine mit dem billigen Toupet
hieß Horst Knapperbusch, Endokrinologe und berühmtester
Theoretiker über die Wirkung von Röntgenstrahlen auf
Genitaldrüsen. Und nicht zu vergessen Mr. Hasenzahn, Josef,
dessen Nachname, wie Kraus jetzt wusste, Mengele lautete. Ein
Experte für Rassenunterschiede in der Körperstruktur. Er
konzentrierte sich fast ausschließlich auf die genetischen
Eigenschaften von Zwillingen und Zwergen. Kraus hätte diesen
sechs Männern am liebsten sofort Handschellen angelegt, wenn
Gustave nicht ein subtileres Vorgehen vorgeschlagen
hätte.
»Sie ahnen ja
nicht, was für eine Ehre es für mich ist, solch
hochgeschätzte Wissenschaftler bei mir begrüßen zu
dürfen.« Gustave hob einladend die Hand. »Bitte,
Kameraden … folgen Sie mir in meine Privatsuite. Kommen Sie!
Ich habe schon den ganzen Abend mit Ungeduld auf diese
Überraschung gewartet.« Kraus sah zu, wie die Ärzte
ihm wie eifrige Küken folgten und zweifellos vollbusige
Fräuleins erwarteten, die unter einem magischen Bann standen.
Zehn Minuten später funkte Gustave ihn an. Er möge
herunterkommen. Als Kraus die schwach beleuchtete Suite betrat,
hatte er das Gefühl, als legte sich ein Schraubstock um seinen
Hals. Alle sechs Ärzte lagen wie tot am Boden, versunken in
einer hypnotischen Trance.
Die Motoren der Jacht
heulten auf, als sie flussaufwärts nach Sachsenhausen fuhren.
Unterwegs befahl Gustave Oscar Schumann, aufzustehen, ihm zu folgen
und das Funkgerät zu benutzen, dessen Mikrofon er ihm in die
Hand drückte. »Sie befehlen allen Wachen auf der
Anstaltsinsel, sofort zur Pier zu kommen. Sobald wir angelegt
haben, werden sie an Bord der Jacht kommen und sich unserer Feier
anschließen.«
Und richtig, als das
Boot anlegte, warteten die zwölf SS-Wachen bereits ungeduldig
auf der Mole. Ihre Totenköpfe und gekreuzten Knochen
schimmerten im Mondlicht, während einer nach dem anderen
über die Laufplanke schritt und einer nach dem anderen von den
Soldaten des Potsdamer Armeechores, die ihre Smokings gegen
Wehrmachtsuniformen getauscht hatten, gefangengenommen wurden.
Kraus brannten die Tränen in den Augen.
Er hatte alle Ratten
eingefangen.
Das Problem war jetzt
die medizinische Versorgung all dieser Menschen in den
Schweinekoben. Wenn der Transport mit den fünfundneunzig neuen
Opfern tatsächlich am Morgen nach ihrer Erkundungstour
eingetroffen war, dann konnten dort jetzt Hunderte von Menschen
liegen. Er konnte nur helfen, sie ins Medizinische Zentrum
Brandenburg zu schaffen. Wie die Ärzte dort mit so vielen halb
toten Menschen zurechtkommen würden, stand auf einem anderen
Blatt.
Der Thorrablot-Mond
warf lange Schatten, als Kraus mit fünfundzwanzig Soldaten das
Schiff verließ. Ein Fotograf und ein Kamerateam folgten
ihnen. Sie marschierten hastig über die Felder mit dem
hüfthohen Gras zu den Baracken. Aber Kraus hatte den Eindruck,
dass die Nachluft viel zu frisch roch, obwohl ein kräftiger
Südwind wehte. Seine Verwunderung steigerte sich noch, als sie
die Schweinekoben erreichten. Das Tor stand weit offen. Die langen,
elenden Hütten waren leer. Kraus lehnte sich haltsuchend an
eine Tür. Wie war das möglich? Wohin hatten sie so viele
todkranke Menschen schaffen können? Es waren doch erst zwei
Wochen vergangen! Dann gefror ihm das Blut in den Adern vor Grauen.
Er führte die Abteilung im Marschschritt, dann im Trott und
schließlich im Laufschritt zu der Brücke über den
Flussarm und hinüber auf die Toteninsel. Sie erreichten eine
Lichtung, die von niedergetrampeltem Gras gesäumt wurde, und
standen vor drei großen, kürzlich ausgehobenen
Gräben, die mit frischer, schwarzer Erde bedeckt und deren
Funktion nicht zu verkennen war.
BUCH VIER
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Götterdämmerung
ACHTUNDZWANZIG
Kein einziger
Gefangener war noch am Leben. Ihre kahlgeschorenen Köpfe und
ihre ausgemergelten Gesichter schwebten anklagend vor Kraus’
Augen. Aber, das musste er einräumen, er hatte seine Sache
nicht schlecht gemacht, bei Gott nicht. Er hatte die Mistkerle
besiegt. Er hatte dieser ganzen, widerlichen Operation den Saft
abgedreht. Er hatte dieses ganze Pack perverser Ärzte
verhaftet. Und die Wachen. Und vor
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