Schlafwandler
und eine für Bertelsmann. Dazu noch
zahlreiche Logen für ausländische Delegationen. Warum war
die große Loge in der Mitte leer, wo eigentlich der
Reichskanzler hätte residieren sollen? Direkt daneben befand
sich die Loge von Ullstein. Die fünf berühmten
Brüder saßen alle um einen Tisch, zusammen mit ihren
juwelenbehängten Frauen. Bei ihnen war Erich Maria Remarque,
der Autor des Buches Im Westen nichts
Neues, und
die sehr elegante Vicki Baum, die durch ihr Buch Menschen im
Hotel berühmt geworden war. An den
anderen Tischen saßen Redakteure, Kolumnisten und Fotografen.
Aber wo war Fritz? Kraus sah ihn schließlich neben einer
großen blonden Frau stehen, deren tief ausgeschnittenes Kleid
einen ausgesprochen muskulösen Körper
enthüllte.
»Ein Putsch, um
von Hindenburg zu stürzen?« Fritz’ Worte klangen
bereits undeutlich, und sein Schmiss glühte feuerrot.
»Das is’ ja zu komisch. Ich kenn’ von Schleicher
schon ssseit Jahren, Liebschen. Er is’ gerissen wie ein
Fuchs, aber vertrau mir … er hat nicht die … Hallo,
Willi!« Er schlang einen Arm um ihn.
Die große Blonde
war Leni Riefenstahl. Kraus erkannte sie sofort. Die Riefenstahl,
der Star der beliebten Alpen- und Bergsteigerfilme und
berüchtigt für ihre Affären. Das sollte Fritz’
Meinung nach die perfekte Frau für Kraus sein?
»Du kennst Leni,
natürlich.«
»Zu meiner
Schande muss ich gestehen, dass ich Sie nicht kenne«, log
Kraus, schockiert von der absurden Wahl seines Freundes.
»Aber ich kenne
Sie.« Die muskulöse Schauspielerin zerquetschte Kraus
fast die Hand, als sie sie schüttelte. »Der große
Kinderschänder-Fänger. Die Fotos in den Zeitungen werden
Ihnen nicht gerecht.« Mit ihren leuchtend blauen Augen
musterte sie ihn wie durch verschiedene Kameraobjektive.
»Besuchen Sie mich bei Gelegenheit doch einmal in meinem
Studio. Ich möchte Sie fotografieren. Ihre heroischen
Qualitäten herausstellen.«
»Leni, ich hatte
keine Ahnung, dass du so viele Talente hast«, verkündete
Fritz. »Jetzt fotografierst du auch noch!«
»Ich lerne es
gerade, Fritz. Aber ich habe ein ziemlich gutes
Auge.«
Sie gab Kraus ihre
Visitenkarte. »Bitte«, sagte sie eindringlich.
»Ich experimentiere gerade mit einigen fabelhaften
Kameraeinstellungen, die ich liebend gern bei Ihnen ausprobieren
würde.«
Darauf würde ich
wetten, dachte Kraus. Er war immer noch verblüfft, dass dies
die Frau war, von der Fritz seit Monaten schwadronierte. Noch
erstaunter war er jedoch, als die Riefenstahl ihm einen Kuss zuwarf
und davonmarschierte. »Du meinst, sie ist nicht
…?«
»Sie?«
Fritz wäre vor Lachen fast umgefallen. »Himmel, Willi.
Genauso gut könnte ich versuchen, dich mit Goebbels
zusammenzubringen. Nein, die Frau, die ich im Sinn hatte, ist
…« Seine Augen weiteten sich, und sein Schmiss dehnte
sich, als er das Gesicht vor Entzücken verzog. »Da kommt
sie ja.«
Kraus drehte sich
herum. Er hätte schwören können, dass er die braunen
Augen kannte, die da auf ihn zukamen. Die schlanke Gestalt in einem
blassrosa Kleid mit einer langen Samtschärpe. Den langen,
wunderschön geschwungenen Hals. Und jetzt verstand er auch,
was Fritz gemeint hatte, als er sagte, er sollte handeln, bevor ein
Schurke sie ihm wegschnappen würde. »Um Himmels
willen.« Kraus drehte sich wütend zu ihm
herum.
»Sei nicht so
dickköpfig, du Narr. Nur weil sie die Schwester deiner
verstorbenen Frau ist …«
»Diesmal bist du
wirklich zu weit gegangen, Fritz!«, knurrte Kraus. Aber er
konnte das Glücksgefühl, das in ihm aufwallte, als sie
näher kam, nicht unterdrücken. Als sie vor ihnen
stehenblieb, gelang es Kraus, überrascht zu tun. »Ava,
um Himmels willen! Was machst du in Berlin?«
»Dasselbe
könnte ich dich fragen.« Ihre Augen verdunkelten sich.
Kraus erkannte an dem Blick, den sie Fritz zuwarf, dass sie von
dieser Entwicklung ebenso überrascht war wie er. Und dass sie
immer noch wütend war, weil Kraus aus dem Krankenhaus in Paris
getürmt war. »Jedenfalls freut es mich, zu sehen, dass
es dir wieder besser geht, Willi.« Sie zog unsanft die
Schärpe ihres Kleides zu sich heran.
Fritz witterte, dass
sein Schachzug nicht so aufging, wie er es geplant hatte, und hob
einen Finger, als wollte er die Situation rechtfertigen, doch in
diesem Moment wirkte der ganze Ballsaal wie elektrisiert. Einige
ganz eindeutig sensationelle Neuigkeiten machten die Runde. Es
dauerte nur einen Moment, bis sie sie erreichten. Kraus hatte das
Gefühl,
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