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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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werden Sie anfangen,
sich müde zu fühlen. Sehr müde. Sie werden
feststellen, dass Sie sich ausruhen wollen. Ein Gefühl
angenehmer Müdigkeit und Trägheit überkommt Sie
… Sie fühlen sich gut … Sie fühlen sich
entspannt … Schließen Sie die Augen, und in ein paar
Minuten werden Sie in einen angenehmen, sanften Schlaf
fallen.«
    Er sprach absichtlich
so leise und monoton, dass selbst einigen Gästen im Raum der
Kopf auf die Brust sank.
    »Meine Damen und
Herren, die Damen befinden sich jetzt in einer leichten,
hypnotischen Trance. Daran ist nichts Magisches. Sie nehmen noch
alles wahr, was hier passiert. Stimmt das,
Mädchen?«
    Alle Frauen nickten.
Gustave tippte einer hübschen Brünetten auf die Schulter.
»Herzchen, wie ist Ihr Name?«
    »Hannelore«,
antwortete sie mit geschlossenen Augen.
    »Hannelore, wie
fühlen Sie sich?«
    »Großartig. Einfach
großartig.«
    »Ich werde Sie
jetzt in tiefe Trance versetzen. Sie fühlen sich wohl, Sie
fühlen sich vollkommen wohl. Ihr ganzer Körper ist
entspannt. Sie empfinden keinerlei Anspannung. Sie gleiten in den
Schlaf. In einen tiefen, wohltuenden Schlaf. Ich zähle jetzt
von zehn an rückwärts, und wenn ich fertig bin, schlafen
Sie; Sie schlafen tief, Sie schlafen … Zehn … Neun
…«
    Als er zu Ende
gezählt hatte, überprüfte der Große Gustave
bei seinen Freiwilligen den Zustand der Trance. »Die Arme
sollten so schlaff wie Taue sein«, erklärte er den
Zuschauern. Als er die Arme der Frauen anhob, fielen etliche
tatsächlich vollkommen willenlos zurück wie bei einer
Leiche. »Die Augen sollten nach oben verdreht sein.« Er
demonstrierte es, indem er etliche Augenlider hochzog.
    Dann kehrte er zu dem
ersten Mädchen zurück. »Hannelore, können Sie
mich hören?«
    »Ja.«
    »Wie fühlen
Sie sich jetzt?«
    »Wunderbar.«
    »Meine Damen und
Herren, ich werde Ihnen jetzt die Macht demonstrieren, welche die
hypnotische Trance über den menschlichen Verstand
auszuüben vermag. Hannelore … sprechen Sie
Chinesisch?«
    »Natürlich
nicht.« Sie kicherte. »Ich komme aus
Düsseldorf.«    
    »Wenn ich mit
den Fingern schnippe, wachen Sie auf und sind nicht mehr Hannelore
aus Düsseldorf, sondern die Kaiserin-Witwe aus China. Sie sind
sehr aufgebracht, weil einer Ihrer Bediensteten ihre
Lieblingsteetasse gestohlen hat. Sie wissen zwar nicht, wer es war,
aber Sie schwören, dass Sie den Dieb überführen
werden und ihm den Kopf abschlagen lassen. Los geht’s. Eins,
zwei, drei.« Er schnippte mit den Fingern.
    Hannelore sprang von
ihrem Stuhl hoch und kreischte mit wutverzerrtem Gesicht
los. »Ching how ni gon! He how
gon ni how? Chow kow ling chew! Ling chew! Ling
chew!«
    Dabei fuhr sie
unaufhörlich mit dem Zeigefinger über ihre
Kehle.
    Die Zuschauer waren
fast hysterisch vor Begeisterung.
    »Wenn ich in die
Hände klatsche, schlafen Sie wieder ein!«
    Gustave klatschte, und
die Kaiserin brach schlagartig wie tot auf ihrem Stuhl
zusammen.
    »Hannelore«, sagte er.
»Sprechen Sie Chinesisch?«
    »Nein,
natürlich nicht.« Sie kicherte. »Ich komme aus
Düsseldorf.«
    Auf diese Weise
unterhielt Gustave sein Publikum eine ganze Stunde lang.
    Kraus verblüffte
vor allem die offenkundige Aura der Verführung, die der
Auftritt an sich hatte. Wie der Mann über diesen schlaffen
Frauenkörpern stand, sie mit seiner tiefen, fordernden,
männlichen Stimme herumkommandierte und wie sie ihm jeden
Wunsch sofort erfüllten. Er verwandelte Frauen in Hummeln, in
Ballerinas, in französische Dienstmädchen.
    Gunther war offenbar
ebenfalls durchaus empfänglich für die Effekte.
»Was ich alles machen könnte, wenn ich sechs
Mädchen so unter Kontrolle hätte«, murmelte er
selbstvergessen, trotz der Gegenwart seines Chefs.
    Kraus wiederum war
davon überzeugt, dass jeder Mann unter den Zuschauern dasselbe
dachte.
    Nur besaß nicht
jeder Mann unter den Zuschauern die Gabe des Großen
Gustave.
    Nach der Vorstellung
entließ der König der Mystiker seine Freiwilligen wieder
in die reale Welt und in die bewundernd ausgebreiteten Arme ihrer
Männer. Die Frauen konnten sich an keines ihrer Abenteuer
erinnern. Alle fühlten sich wundervoll, berichteten sie
unisono, so als hätten sie gerade eine Woche im besten Heilbad
von Baden-Baden verbracht. Und die Gäste der Hölle waren sehr befriedigt
von ihrem abendlichen Ausflug in die bizarre, teure Unterwelt
Berlins.
    Als die Lichter
aufflammten, führte Kraus Gunther hinter die Bühne und
zur Garderobe des Großen Gustave.

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