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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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wenig übertrieben vor, vor allem in dem
Kontext des deutschen politischen Diskurses, in dem blutige
Lösungen im Moment ebenso nonchalant diskutiert wurden wie das
Wetter. Aber er fühlte, wie ein großer Druck von ihm
genommen wurde. Mit von Schleicher und der Armee auf seiner Seite
hatte er eine Chance, diesen perversen SA-Chirurgen dingfest zu
machen. Das glaubte er, bis er hörte, wie der Minister sagte,
er würde sofort Ernst Röhm anrufen. Das Gewicht legte
sich wieder auf ihn.
    »Herr General,
ich hatte gehofft, diese Angelegenheit bei der Armee und der
Polizei zu belassen. Warum wollen Sie den SA-Führer mit
hineinziehen?«
    »Weil Ernst
Röhm zufällig ein alter Kumpel von mir ist. Er ist ein
bisschen schräg, aber ein guter Soldat. Ein Mann, mit dem ich
arbeiten kann.«
    »Sie haben doch
gerade gesagt, dass Sie ihn zermalmen, vernichten und zu
Pferdefutter verarbeiten wollen.«
    Von Schleicher sah
Kraus an, als hätte er einen kleinen Jungen vor sich.
»Herr Inspektor, was hat das eine mit dem anderen zu
tun?«
    Genauso funktionierte
die doppelzüngige, hinterhältige Welt der Politik in der
Wilhelmstraße. Genauso, wie der Weltkrieg begonnen hatte,
dachte Kraus grimmig.
    Von Schleicher nahm
den Hörer ab und hackte energisch auf die Gabel, um die
Vermittlung zu bekommen. Aber der SA-Führer war nicht zu
sprechen. »Macht nichts.« Er legte auf. »Ich
kümmere mich darum. Röhm wird in dieser Angelegenheit mit
uns zusammenarbeiten, das versichere ich Ihnen.«
    »Großartig.«
Kraus schaffte es kaum, glaubwürdig zu klingen.
    Bevor er aufstand, um
zu gehen, tat er etwas, das vollkommen gegen seine Prinzipien
verstieß.
    »Herr General
…« Das verzweifelte Gesicht seines Schwiegervaters bei
ihrem letzten Treffen im Café
Strauß blitzte vor seinen Augen auf. Und
die Gesichter seiner Söhne. »Darf ich mir erlauben,
Ihnen eine Frage zu stellen, streng vertraulich natürlich? Wen
sehen Sie als den nächsten Führer der
Reichskanzlei?«
    Von Schleicher blieb
stumm. Kraus fürchtete, dass er seine Grenzen
überschritten und damit die Grundlage der Allianz unterminiert
hatte, die er soeben erst geschmiedet hatte. Aber der
Kriegsminister schlug mit beiden Händen auf den Schreibtisch
und erhob sich, als wollte er eine Rede vor der Nation
halten.
    »Was Deutschland
braucht, ist ein Mann von eisernem Charakter und ebensolchem
Willen. Ein Mann, der nicht davor zurückschreckt, die
notwendigen Schritte zu unternehmen, damit das Land wieder auf die
Beine kommt. Ein Mann aus Stahl, wie Russlands Stalin. Vor dem die
Leute zittern und den sie als Vater respektieren.«
    Wer denn bloß?,
dachte Kraus.
    »Machen Sie sich
keine Sorgen.« Von Schleicher schob sein Monokel wieder ins
Auge und starrte ihn geradewegs an. »Ich habe einen Plan.
Halten Sie sich an mich, Kraus. Sie werden es nicht
bereuen.«
    »Ich verfluche
den Tag, an dem ich einen Fuß in diese verfluchte Stadt
gesetzt habe.«
    Konstantin Kaparov
packte wütend seine Koffer in seiner Suite im Adlon. Weil er
ohnehin in der Nähe war, war Kraus kurz vorbeigekommen, um ihm
noch ein paar Fragen zu stellen. Aber Kaparov hatte einen
bulgarischen Wutanfall. Sein Gesicht war geschwollen, und er hatte
ein blaues Auge.
    »Bin gestern
durch den Tiergarten spaziert und wurde von Nazi-Vieh angefallen,
die mich für einen Juden gehalten haben. Stellen Sie sich das
vor! Ich, ein Jude!«
    »Jeder mit
dunklem Haar …«, stammelte Kraus
verteidigend.
    »Ich reise ab.
Und ich komme nicht zurück. Wenn Sie Magdelena nach vier Tagen
nicht gefunden haben, finden Sie sie nie. Diese Stadt … sie
hat sie getötet. Diese Stadt ist … die
Hölle!«
    »Wo wir gerade
davon sprechen«, warf Kraus ein. »Dieser Hypnotiseur im
Club      
    Hölle … hat er an dem
Abend, an dem sie dort waren, etwas über Magdelenas Beine
gesagt? Hat er sie vielleicht ›klassisch‹ genannt?
Oder ›ideal‹?«
    »Nein. Er hat
sie gar nichts genannt. Ich sage Ihnen, Herr Inspektor, der
Hypnotiseur hat nichts damit zu tun. Nach der Vorstellung war
Magdelena vollkommen normal. Nichts war seltsam. Ich weiß es.
Ich bin ihr Ehemann. Vielmehr … ich war
es!«
    »Es tut mir so
leid, Herr Kaparov, dass ich nicht in der Lage war, sie zu
finden.«
    »Niemand findet
sie. Sie ist in Berlin verschwunden. Das ist dasselbe wie
tot.«
    Im schmuddeligen Foyer
des Polizeipräsidiums stand Kraus an dem altertümlichen
Aufzug und wartete darauf, dass er herunterkam. Der Mann, der neben
ihm wartete, war ausgerechnet

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