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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Prinzessin ist
verschwunden.«
    »Die
Prinzessin?« Er wirkte aufrichtig schockiert.
    Kraus’ sechster
Sinn schlug förmlich Purzelbäume. Meckel log ihm ins
Gesicht.
    »Ja. Sie ist die
Tochter des Königs von Bulgarien. Ihr Vater unternimmt
natürlich alle Anstrengungen, sie zurückzubekommen.
Ebenso Präsident Hindenburg. Die Berliner Polizei dreht jeden
Stein nach ihr um. Da Sie der Letzte waren, der die Prinzessin
gesehen hat, Doktor Meckel, werden wir vermutlich noch einmal mit
Ihnen sprechen müssen.«
    »Aber
selbstverständlich. Allerdings habe ich Ihnen schon alles
gesagt, was ich weiß.«
    Eine Schwester tauchte
auf. »Doktor Meckel, es hat einen schweren Straßenkampf
im Wedding gegeben. Die ersten Verletzten treffen bereits
ein.«    
    »Herr Inspektor,
Sie werden mich entschuldigen.«
    »Selbstverständlich,
Herr Doktor. Bis zum nächsten Mal.«

FÜNF
    »Willkommen in
der Hölle .«
Das Garderobenfräulein zwinkerte Gunther zu, als es ihm die
Marke für seinen Mantel reichte.
    »Regen Sie sich
ab, mein Junge«, warnte ihn Kraus. »Vergessen Sie
nicht, dass dies hier dienstlich ist.«
    Mehr als ein Jahrzehnt
lang galt allein schon der Name Berlin unter den Eingeweihten als Synonym
für Dekadenz und Lasterhaftigkeit, und der Club Hölle auf der besonders
verruchten Friedrichstraße tischte seinen Besuchern eine
extrem effekthascherische Version davon auf. Barbusige Kellnerinnen
mit Teufelshörnern, surrealistische Wandgemälde aus
Dantes Inferno und kochende Kessel mit Trockeneis, aus denen ein
permanenter Nebel durch die Räume waberte.
    Gunther war im
Himmel.
    Man gab ihnen einen
Tisch auf der Empore, von wo sie einen exzellenten Blick auf die
Bühne hatten. Kraus konnte verstehen, dass eine Prinzessin aus
der Provinz von dem theatralischen Prunk der Lichter und des Dekors
verzaubert war. Aber wer hatte sie hierhergeschickt? Doktor
Meckel?
    Als die Lichter
gedämpft wurden, rutschte Gunther aufgeregt auf seinem Stuhl
hin und her wie ein Kind im Zirkus. Vor einem Hintergrund aus
gespenstischer roter Gaze begann die Show, eine Reihe von lebenden
Tableaus aus spärlich bekleideten Teufelinnen. Jede Szene
zeigte einen besonders lüsternen Moment aus der Geschichte:
Jeanne d’Arc, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde,
barbusig; Jack the Ripper, der eine nackte Londoner Prostituierte
malträtierte. Den Tableaus folgten Schattenspiele von
Teufelinnen hinter dem roten Schleier: vor allem erotisierte
Folterszenen, erzwungene Befriedigungen, Fesselungen,
Demütigungen. Man hörte unaufhörlich Peitschen
knallen, das Klatschen von Leder auf nackten Hintern und
übertriebene Schreie um Gnade. Gunther war, wie Kraus
bemerkte, nicht nur fasziniert, sondern auch bis ins Mark verlegen.
Sein langes, knochiges Gesicht zeigte die verschiedensten
Schattierungen von Rot.
    »Um Himmels
willen«, flüsterte Kraus. »Benehmen Sie sich nicht
so, als hätten Sie niemals Ihren Bauernhof
verlassen.«
    »Das habe ich
auch nicht, bis ich auf die Polizeischule gekommen
bin.«
    »Aber Sie hatten
doch bestimmt Kühe und Bullen und wer weiß was noch auf
Ihrem Hof!«
    »Klar. Aber die
haben sich niemals zum Vergnügen den Hintern
versohlt.«
    Kurz darauf
zwängte eine vollbusige Akrobatin namens Helga ihre ausladende
Oberweite in eine bayerische Brezel. Drei barbusige Negerinnen
demonstrierten den neuesten, verrückten Tanz aus New York, den
Shimmy Shake. Und ein satanischer Bauchredner versuchte, ein ebenso
erotisches wie naives Schulmädchen zu
verführen.
    Schließlich
erloschen sämtliche Lichter im Klub, mit Ausnahme eines
einzigen Scheinwerfers auf der Bühne. Erwartungsvolles
Schweigen breitete sich aus. Aus dem Gebälk sank ein kleiner
Chor aus halbnackten Engeln in silbernen Paillettenkleidchen an
Drähten herunter. Dann umringten die Engel einen großen
Käfig, in dem – als wäre er vom Himmel zur
Hölle hinabgesunken – der Große Gustave stand. Er
trug Frack und Zylinder, hielt die Hände dramatisch über
dem Kopf und wand sich scheinbar vor Schmerz.
    Die Zuschauer
applaudierten frenetisch.
    Die Engel befreiten
ihn aus seiner Gefangenschaft. Gustave trat aus dem Käfig und
betrachtete schweigend seine neue Umgebung. Dann zog er langsam und
bedächtig, jeden einzelnen Finger zupfend, seine weißen
Handschuhe aus und bereitete sich auf das vor, was ihn
erwartete.
    »Meine Damen und
Herren«, dröhnte ein tiefer Bariton durch den Raum.
»Das also ist die Hölle!«
    Der Nachtclub bebte
vor Gelächter.
    Gustave war

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