Schlafwandler
Karten zugedacht
hätte, dann wäre sie vielleicht auf der Leinwand
erschienen. Oder sie würde die Angestellten im Hotel Adlon
herumkommandieren. Aber so war es nicht. Und etwas zog fast
schmerzlich an seinem Herzen. Wenn sie nur etwas weniger …
Autobiografisches gesungen hätte.
»Was hast du,
Kraus?« Sie stieg wieder ins Bett und wickelte sie beide in
die Decke mit den blassroten Rosen. »Gefällt dir mein
Gesang nicht?«
»Ich liebe
ihn.« Er küsste sie.
Als ihre Zunge in
seinen Mund eindrang, erhob sich das Tier in ihm erneut, so gierig
wie zuvor. Wie hatte er nur so lange seine Bedürfnisse
ignorieren können? Aber selbst während sein Körper
vor Entzücken brannte, hörte er ihr Lied, das wie eine
Schallplatte mit einem Sprung immer und immer wieder dieselbe
Stelle spielte: Ich bin die kesse Lola, der
Liebling der Saison, ich bin die kesse Lola, das liebt ein jeder
Mann, doch an mein Pianola, da lass ich keinen ran
…«
Oh!
Er spürte, dass
er sich seinem Höhepunkt näherte, aber sie stieß
ihn fest zurück.
»Wage es nicht,
Knallkopf!«
Er lachte, froh
darüber, dass sie keine Frau war, die ihre Bedürfnisse
versteckte und den Mann später dafür bezahlen ließ.
Er küsste sich langsam ihren Bauch herunter und hob sanft ihre
Beine an.
»Nein. Das
nicht. Mach das, was ich dir sage.«
Kalte Panik
durchströmte ihn und drohte sogar sein gieriges Biest in die
Flucht zu schlagen. Er sah diese knallroten Stiefel mit den spitzen
Absätzen und hörte schon, wie sie ihn fragte, ob er ein
schlimmer Junge gewesen war. Er glaubte schon die Stricke zu
spüren, mit denen sie ihn ans Bett fesselte, und spürte
die Schläge der ledernen Reitgerte auf seinem Rücken und
Hintern. Aber sie überraschte ihn, als sie sich auf den Bauch
drehte und langsam und verführerisch den Po hob.
»Schlag mich,
Kraus!«, befahl sie. »Und zwar nicht zu
sanft.«
Nun zuckte er wirklich
zurück. Noch schrecklicher als die Vorstellung, gefesselt und
ausgepeitscht zu werden, erschien ihm die Idee, das jemand anderem
anzutun.
»Du verstehst
das nicht, Liebchen.« Sie drehte den Kopf und sah ihn
über die Schulter hinweg an. Ihre grünen Augen brannten
vor Lust. »Das bereitet mir Vergnügen. Bitte, Kraus, tu
es für mich.«
Sie bog den
Rücken und hob ihm erneut ihren runden, weißen Hintern
entgegen.
Er brachte es immer
noch nicht über sich, sie zu schlagen.
»Mach
es!«, befahl sie.
Das bewirkte nur, dass
er schlagartig schrumpfte.
»Um Himmels
willen, Kraus.« Sie bettelte ihn an. »Du weißt,
wie wenig Vergnügen ich in meinem Leben
…«
Er schlug fest mit der
offenen Hand zu und starrte dann auf die roten Male seiner Finger
auf ihrer weißen Haut.
»O ja«,
wimmerte sie. »Mehr, Kraus, bitte. Bis ich dir sage, dass du
aufhören sollst.«
Er wachte am Morgen
auf und hatte das Gefühl, zu träumen. Er wusste nicht, wo
er war. Als ihm klar wurde, dass das Gewicht auf seinem Arm Paula
war, zog er sie an sich und machte sich daran, sie so zu lieben,
wie sie seiner Meinung nach geliebt werden sollte. Doch wieder
wollte sie, auf dem Gipfel ihrer Lust, dass er sie schlug. Diesmal
konnte er es nicht. Er stieg aus dem Bett und sah sich benommen um.
Erschrocken stellte er fest, dass es bereits sieben Uhr war. Er
würde heute in derselben Kleidung zur Arbeit gehen
müssen, die er bereits gestern getragen hatte.
»Du kommst noch
mal vorbei, das weiß ich.« Paula zog ihn an der
Krawatte zu sich herunter, als er hinausgehen wollte.
Er küsste sie
flüchtig auf den Mund.
»Allerdings«, sagte
er. »Aber nur, weil du mich auf die Jacht des Großen
Gustave bringen wirst, meine Liebe. Nicht, weil du einen
Schullehrer willst, der dir Manieren
einprügelt.«
Als er aus dem
schmuddeligen Haus floh, nahm er sich vor, seinen Cousin Kurt
anzurufen, sobald er ins Büro kam.
In der S-Bahn zuckte
er zusammen, als er die Morgenschlagzeile las.
Hindenburg ernennt
neuen Kanzler – von Schleicher schwört, mit eiserner
Faust zu regieren!
Von Schleicher war
jetzt also Kanzler. Der dritte Kanzler in ebenso vielen Jahren.
»Halten Sie sich an mich, Kraus«, hallten die Worte des
Mannes durch Kraus’ Gedächtnis. »Sie werden es
nicht bereuen.«
Kraus ging die lange
Treppe von der Haltestelle hinab und trat auf den Alexanderplatz.
Der Geruch von Bratwürstchen, der von einem Handkarren zu ihm
herüberwehte, erinnerte ihn daran, dass er noch nicht
gefrühstückt hatte. Es war kälter geworden. Kalt
genug für Schnee, dachte er,
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