Schlafwandler
sagen:
Ist das nicht
lächerlich? Ich, ein Nazi! Dann sah er zur Seite, als
wäre er Kraus nie zuvor begegnet.
Röhm seinerseits
nahm Kraus’ Weigerung, sich zu setzen, so gut auf, wie man es
erwarten konnte, mit amüsierter Toleranz. »Na, dann
lassen Sie uns dort in der Ecke miteinander
reden.«
»Ich weiß
natürlich, worum es hier geht, Herr Kriminalinspektor«,
fuhr der SA-Führer fort, als sie sich gegenüberstanden.
Er war wirklich hässlich; einen Kopf kleiner als Kraus und mit
einem von Schussverletzungen und Brandwunden übel vernarbten
Gesicht. »Sie haben dafür meine hundertprozentige
Unterstützung.«
Kraus erinnerte sich
an von Schleichers Worte, der gesagt hatte, dieses Scheusal sei ein
Mann, mit dem er arbeiten könne. Jedenfalls redete er mehr wie
ein Firmenboss als wie ein typischer, geifernder Nazi.
»Als ich das
Kommando über die Sturmabteilung übernommen
habe«, Röhm verschränkte nachdenklich die Arme vor
der Brust, »im Jahr 1930, da hatten wir etwa 77 000
Mitglieder. Nach einem Jahr hatten wir unsere Zahl verdreifacht.
Und dieses Jahr haben wir sie erneut verdoppelt. Jede andere
Organisation, die so schnell gewachsen wäre, hätte
zahlreiche Probleme. Allein die Aufgabe, so viele Zehntausende
jeden Monat aufzunehmen und sie im Zaum zu halten. Ich muss
zugeben, dass auch wir Auswüchse von Disziplinlosigkeit
hatten. Und wir litten auch unter dem Mangel an qualifizierten
Führern. Aber ich habe nie irgendeine Form des Ungehorsams
akzeptiert und schon gar keine kriminellen Aktivitäten.
Zusammenhalt und Disziplin sind für mich von
übergeordneter Bedeutung. Selbst ein einziger verfaulter Apfel
muss ausgemerzt werden.«
Röhm unterbrach
sich, um Luft zu holen, und warf Kraus einen scharfen Blick zu.
»Alle Ebenen unserer Partei sind sich einig, dass die Macht
in Deutschland nur auf legalem Weg und mit Unterstützung der
Armee gewonnen werden kann. General von … will sagen,
Reichskanzler von Schleicher hat mich dringend ersucht, Ihnen meine
Unterstützung zuzusagen.« Röhm machte eine Pause.
»Allerdings liegen mir Juden nicht sonderlich am
Herzen.«
»Genauso wenig
wie mir Nazis, nehme ich an.«
Röhm hob sein von
Narben gezeichnetes Kinn. »Dann, Herr Kriminalinspektor, muss
ich Sie fragen, was genau Sie betreffend Ihrer Ermittlung gegen
General Meckel von mir wollen.«
»Erstens, dass
Sie meine und die Sicherheit meiner Beamten gewährleisten,
solange wir diese Ermittlungen durchführen.«
»Selbstverständlich.«
»Wir müssen
Meckels Anwesen durchsuchen. Die SA-Wachen, die dort postiert sind,
müssen uns durchlassen.«
»Einverstanden.
Geben Sie mir vorab Bescheid, dann wird das
erledigt.«
»Und ich
möchte sämtliche Informationen über Dr. Meckel,
über die Sie verfügen, einschließlich seiner
verschwundenen Personalakte aus den Archiven der
Charité.«
»Die bekommen
Sie.«
»Außerdem
möchte ich, dass Meckel über diese Ermittlungen
vollkommen im Dunkeln gelassen wird.«
»Im Dunkeln, ja,
Herr Kriminalinspektor. Er wird vollkommen im Dunkeln
bleiben.«
ELF
Sanftes Kerzenlicht
erhellte die Küche, als Kraus seine Wohnung betrat. Paula
wartete mit dem Essen. Sie nahm ihm den Mantel ab, und wie eine
perfekte Braut hängte sie ihn an den Haken.
»Es ist schon
fast zehn, weißt du das? Und erzähl mir jetzt nicht,
dass die Arbeit eines Inspektors nie beendet ist.«
Es war fast zwei Jahre
her, seit er das letzte Mal zu Hause von einer Frau mit einem Essen
empfangen wurde. Er konnte seine Erregung kaum
beherrschen.
»Nicht«,
sagte sie, und schob seinen Kopf von ihrem Hals weg. »Ich
verhungere fast, Kraus. Lass uns essen, bitte.«
Ihm fiel auf, dass sie
schon wieder diese verdammten schwarzen Handschuhe trug. Was hatte
sie an diesen Dingern nur für einen Narren gefressen? Waren
sie auch ein Fetisch? Aber als er ihren verträumten Blick sah,
mit dem sie das Essen servierte, entschied er sich, das Thema nicht
anzusprechen.
Paula war eine sehr
anständige Köchin. Natürlich nicht so gut wie Vicki.
Seine Frau hatte Kochkurse in Paris besucht. Aber Paula hatte die
wenigen Lebensmittel, die er im Haus gehabt hatte, genommen,
frischen Fisch gekauft und eine gute Bouillabaisse daraus
gezaubert. Er war stolz auf sie. Nein, mehr als das. Er war dabei,
sich in sie zu verlieben.
»Paula, geh
nicht wieder zur Arbeit. Ich sorge für dich.«
Sie senkte den Kopf
und sah auf ihren Teller. Ihr eng am Kopf anliegendes, welliges
Haar schimmerte im Kerzenlicht. »Um
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