Schlafwandler
oder standen an
Buffets, die sich unter der Last der Delikatessen förmlich
bogen. Das ganze Boot war mit Stechpalmen und Kiefernzweigen
dekoriert.
Kraus hatte einiges
über Gustave Spanknobel herausgefunden und wusste daher, dass
er das Vermögen, das ihm diesen Lebensstil ermöglichte,
nicht mit seinen öffentlichen Auftritten in Nachclubs
angehäuft oder an den vielen privaten Klienten verdient hatte,
die an jedem seiner Worte förmlich hingen. Nein, einen
großen Teil seines Geldes verdiente er mit seinem
Verlagsimperium, das außer einer beliebten Wochenzeitung,
dem Hellseher ,
auch zahllose Bücher über Okkultismus verlegte, die sich
besser verkauften als viele Titel der größten Romanciers
des Landes. Seine größte Geldquelle jedoch war eine
Salbe, die er Viril Kreme nannte und die –
wie Millionen deutsche Frauen und Männer schworen –, die
sexuelle Leidenschaft entflammte. Einige sahen in Spanknobel den
größten Svengali in der deutschen Geschichte. Selbst
Adolf Hitler nahm bei ihm angeblich Unterricht in Rhetorik und
Massenpsychologie. Vielleicht war es deshalb keine große
Überraschung, dass der Mann bis jetzt vom Gesetz unangetastet
geblieben war.
Deutlich wurde
ebenfalls – wie Paula Kraus vorgewarnt hatte –, dass
dieser Abend nur für Paare gedacht war. Gut, dass er sie
mitgenommen hatte. Kein einziger Mann und keine Frau waren ohne
Begleitung erschienen. So kam es, dass Kraus sie hinter sich her
zog, als wäre sie mit Handschellen an ihn
gefesselt.
»Sag mir die
Wahrheit«, flüsterte er ihr irgendwann zu. Er war immer
noch böse auf sie, obwohl er nicht mehr genau wusste, weshalb
eigentlich. »Warum trägst du immer diese schwarzen
Spitzenhandschuhe, Paula?«
Sie versuchte, ihm
ihre Hand zu entziehen. »Weil ich sie mag.«
Diesmal wollte er
nicht klein beigeben. Und er würde ihr auch nicht erlauben,
Alkohol zu trinken.
»Du wolltest
hierbei mitmachen? Dann halt deine Augen und Ohren
auf.«
»Jawohl,
Chef.« Sie runzelte ärgerlich die Stirn. »Willst
du mich etwa auch ins Bad begleiten?«
Er ignorierte sie,
während er sie durch die illustre Gästeschar zerrte. Als
sein Blick auf zwei mächtige Sprösslinge aus Deutschlands
Stahlindustrie fiel, brachte er sie mit einem leisen
»Shh« zum Schweigen.
»…
bedauerlicherweise scheinen alle das Vertrauen zu verlieren, dass
Hitler es schaffen wird, auch nur Kanzler zu werden.« Kraus
konzentrierte sich auf die Worte eines jungen Mannes, der zur
Familie Krupp gehörte.
»Aber wir
müssen sicherstellen, dass er es schafft«, nuschelte ein
junger Mann mit einem Mund voller Kaviar. Er gehörte zur
Familie Thyssen. »Gott bewahre, dass die Roten die Macht
übernehmen. Wir würden allesamt am nächsten Tag
erschossen. Sobald die Nazis die Kommunisten zerfetzt haben,
können wir diese Riesenpaviane einsperren.«
»Ganz
genau.« Krupp kicherte.
Wie schade, dass Fritz
nicht hier ist, dachte Kraus, während er Paula weiterzog.
Diese beiden waren genau die Idioten, über die er in seiner
Zeitungskolumne nur zu gern herzog. Weil sie absolut nicht
begreifen wollten, dass diese großen Affen, die, wie sie
glaubten, ihnen die schmutzige Arbeit abnehmen würden, sich
schon von ihrer Natur aus auf sie stürzen würden, sobald
sie die »Kommunisten zerfetzt« hatten.
Als die Jacht auf dem
Wannsee segelte und die meisten Gäste bereits beschwipst
waren, zelebrierte Gustave seinen großen Auftritt. Er glitt,
als Swami verkleidet – in einer langen, weißen Robe und
mit einem roten Turban –, durch die Menge der
Gäste.
»Verzeihen Sie
mir, dass ich jetzt erst erscheine«, bat er.
Alle versammelten sich
vor dem kleinen, altarartigen Podium, um ihn sprechen zu
hören.
»Ich bin durch
eine ungeheure Aufgabe aufgehalten worden.« Seine Stimme
bebte vor Bedeutsamkeit, und seine Augen waren vor Wissen und
Mysterium weit aufgerissen. »Ich habe den ganzen Morgen hart
daran gearbeitet, ein astrologisches Diagramm von wichtigster
Konsequenz für unsere Nation zu erstellen … das
Horoskop von Adolf Hitler. Und Sie, meine sehr verehrten
Gäste, werden die Ersten sein, die meine erstaunlichen
Ergebnisse vernehmen. Ja … ja … ich habe alles
gesehen!« Er streckte einen Arm weit von sich.
Dieser Mann, dachte
Kraus, führt die Theatralik in ganz neue Dimensionen der
Absurdität.
»Wir alle
wissen, dass sich der Führer und seine Partei in den letzten
Monaten außerordentlich widrigen Bedingungen stellen mussten.
Das lag daran, dass die Linien des
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