Schlafwandler
Uranus-Mondes durch das Erste
und Zwölfte Haus führen. Es wird nicht leicht werden und
vermutlich nicht ohne Blutvergießen vonstatten gehen, aber
alle Planeten werden bald die richtigen Positionen erreicht haben,
damit er einen großen und dauerhaften Sieg über seine
Feinde erringen kann!«
Die Menge
jubelte.
»Und wird das
Leben nicht großartig sein?«, murmelte
Paula.
Kraus fühlte sich
ein bisschen besser, als er ihre Hand hielt.
»Aber das ist
nicht alles. O nein. Nur wenige Wochen nach diesem historischen
Sieg, im Februar 1933, sehe ich einen gewaltigen Feuersturm durch
das Haus Deutschland fegen. Ein schreckliches Feuer, das die ganze
Nation erschüttern wird. Aber das ist kein Anlass zur Furcht,
meine Damen und Herren. Nein, nein. Es ist alles so, wie es sein
muss. Das wird die mystische Reinigung sein, nach der wie Phoenix
aus der Asche das große, neue Deutschland
aufersteht!«
Die Zuschauer
applaudierten begeistert. Wie auf Stichwort stimmte eine kleine
Blaskapelle einen fröhlichen Foxtrott an. Einige Paare
begannen zu tanzen. Herren mit Monokeln und diamantenen
Manschettenknöpfen. Elegante Damen mit langen
Zigarettenspitzen. Sie lachten und tanzten wie von Sinnen. Was war
das für ein Fieber, das Deutschland da packte? Kraus sah
entsetzt zu. Waren die Dinge so verderbt geworden, dass die
Realität selbst als Feind erachtet wurde? War die Zukunft so
entsetzlich, dass selbst unter den privilegierten Auserlesenen ein
solcher Unsinn als Wahrheit durchgehen konnte?
»Die echte
Unterhaltung findet unter Deck statt«, flüsterte eine
Baroness ihrer Freundin zu. Kraus hörte es. »Nur auf
besondere Einladung.«
Oder war das alles nur
eine Laune dieser Elite?
Kraus war froh, diesem
Spektakel entkommen zu können, und zog Paula mit sich. Er
wollte sich Zutritt verschaffen zu dem, was da unten vorging.
Leider stünde sein Name nicht auf der Liste, erklärte ein
stämmiger Türsteher. Bedauerlicherweise.
Kraus musste sich
etwas einfallen lassen.
Unter den
hochwichtigen Menschen, die sich aufgereiht hatten, um eingelassen
zu werden, bemerkte er den jungen Thyssen und entschloss sich, sein
Glück zu versuchen.
»Hallo!«,
rief er und hielt dem verwirrten, fünfundzwanzigjährigen
Mann die Hand hin. »Sag nicht, du erinnerst dich nicht an
mich? Ich bin vor einigen Jahren mit deiner Schwester ausgegangen.
Es war sogar eine recht ernste Angelegenheit. Siegfried Greiber,
Ruhrkohle und Koks.«
Kraus setzte darauf,
dass dieser reiche Jüngling das Gefühl brauchte, Herr der
Lage zu sein, und nicht zeigen wollte, dass er nicht den leisesten
Schimmer hatte, dass ein Greiber mit seiner Schwester
zusammengewesen war.
»Ach ja,
natürlich! Wie geht es dir, Mensch?«
Das Spiel ging auf.
Jeder Freund von Thyssen war ein Freund des Großen Gustave,
und folglich wurden Kraus und Paula in das innere Heiligtum
vorgelassen.
Der kleine Raum war
für etwa zwanzig Personen ausgelegt, von flackernden Fackeln
beleuchtet und mit rotem Damast drapiert. Schwere, persische
Teppiche bedeckten den Boden. Die einzige Möblierung bestand
aus überall verstreuten Satinkissen und einem thronartigen
Stuhl an einer Wand, der von einer Lampe am Boden angestrahlt
wurde. Die Schauspielerinnen, die Tycoons und andere für diese
elitäre Versammlung ausgewählte Gäste zogen eifrig
ihre Schuhe aus und verteilten sich auf die Kissen am Boden, wo sie
sich auf ein Ereignis vorbereiteten, das gewiss so lohnend war,
dass sie ihren Freunden davon berichten konnten.
Kraus betrachtete
sie.
Konnte einer von ihnen
Gustaves nächstes Opfer sein? Sein Blick blieb an einer
wunderschönen Brünetten hängen, an deren Hals
Diamanten glitzerten. Ohne Zweifel war der König der Mystiker
in das Verschwinden von Dutzenden ausländischer Frauen
verwickelt. Aber Kraus hatte nicht genügend Beweise, um einen
Haftbefehl gegen ihn zu erwirken. Natürlich war dieser
Hurensohn nur ein Zuhälter, das wusste er, ein Kuppler. Aber
bis jetzt war Gustave die einzige Spur, die zu dem Ort führen
konnte, an dem die Schlafwandler verschwanden. Kraus wusste nur,
dass es irgendwo flussaufwärts von Spandau sein
musste.
Nach einer Ewigkeit,
so schien es, tauchte Gustave auf. Zweifellos hatte ihn wieder ein
kurzfristiges Projekt für die Zukunft der Menschheit
aufgehalten. In seiner fließenden Robe und dem absurden roten
Turban geleitete er Herzogin Augustina von Breitenbach-Dustenburg
am Arm, eine echte alte, preußische Aristokratin. Er
platzierte sie auf dem
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