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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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sterben würde, um …«
    Ihre Köpfe fuhren
herum, als jemand entschlossen an die Tür klopfte.
»Kraus … mach auf! Ich habe genug Essen dabei, um eine
ganze Armee zu versorgen, mir brechen gleich die
Arme.«
    Fritz sah ihn
gekränkt an. »Sieh mal an, Willi! Das
Stiefelmädchen?«

FÜNFZEHN
    »Hallo,
Fritz!«, rief Paula, als wären sie gute, alte
Freunde.
    Sie trug ein enges,
rotes Pulloverkleid mit einem passenden Haarband.
    Und natürlich
diese gottverdammten, schwarzen Spitzenhandschuhe.
    »Frohe
Weihnachten, Liebchen. Dir auch, Willi.«
    Sie küsste beide
auf den Mund.
    »Könnt ihr
euch vorstellen, was ich mit der Straßenbahn hierher
transportiert habe? Eine halbe Gans. Und die Apfeltörtchen
meiner Mutter. Man konnte sie bis Kreuzberg
riechen.«
    Während sie sich
über das Essen hermachten, konnte Fritz seine Augen nicht von
Paula losreißen. Er war vollkommen verzaubert, das sah Kraus
genau. Ihre Bravour und ungekünstelte Herzlichkeit, ihre ganze
proletarische Art. Fritz konnte eigentlich sehr liberal sein
für einen Angehörigen eines ehemaligen Königshauses.
Ihm schien es zum Beispiel vollkommen bedeutungslos, dass Kraus ein
jüdischer Bürger war, ein einfacher Staatsdiener. Fritz
war ihm vollkommen ergeben. Und wenn ein Aristokrat solche
Unterschiede übersehen kann, versuchte Kraus sich zu
überzeugen, als sich Paula zwischen ihnen auf die Couch
zwängte, dann kann ich es vielleicht auch. Obwohl Fritz das
schwarze Schaf der Familie war, die ihn bereits vor Jahren enterbt
hatte. Der Mann konnte den Liberalismus wirklich bis zum
Äußersten treiben. Als er und Sylvie noch zusammen waren
und Vicki noch lebte, hatte Fritz immer von Kraus verlangt, endlich
seine alberne bourgeoise Haltung über Bord zu werfen und es
einmal mit Partnertausch zu versuchen. Er hatte ihm sogar
vorgeschlagen, dass sie alle zusammen ins Bett gehen sollten. Kraus
betrachtete ihn jetzt schärfer. Dem Funkeln in seinen Augen
nach zu urteilen schien dieser alte Hecht gerade ganz ähnliche
Gedanken zu hegen.
    Und tatsächlich:
Nachdem sie mehrere Flaschen Champagner geleert hatten, waren die
drei auf der Couch recht anschmiegsam geworden und tippten sich
gegenseitig zum Takt von Beethovens Neunter Symphonie, die aus der
Oper im Radio übertragen wurde, auf die Knie. Die Dynamik der
Musik steigerte sich und die »Ode an die Freude«
näherte sich ihrem phantastischen Höhepunkt, als Paula
plötzlich aufsprang und das Radio ausschaltete.
    »Kraus, sei
nicht so sturköpfig.« Sie starrte ihn an, als
hätten sie sich die ganze Zeit gestritten. »Ich habe
viel darüber nachgedacht. Es gibt nur einen einzigen Weg,
herauszufinden, wohin die Schlafwandler gehen: einen Lockvogel
vorzuschicken.«
    Kraus versteifte sich.
»Du kannst nicht einfach nach Lust und Laune diese
Angelegenheit herumposaunen, Paula. Das ist Polizeiarbeit. Wenn ich
dich so höre, bedaure ich, dass ich dir jemals etwas
erzählt habe.«    
    »Wer posaunt
hier etwas herum?« Ihre grünen Augen funkelten.
»Du hast mir gesagt, dass Fritz dein ältester Freund ist
und dass du ihm dein Leben anvertrauen würdest. Und bei diesen
Typen … brauchst du jede Hilfe, die du kriegen
kannst.«
    Fritz richtete sich
auf. »Aha, deshalb die Pistole. Du steckst also doch in
Schwierigkeiten.«
    »Du schleppst
jetzt eine Pistole mit dir herum?«
    Kraus fühlte sich
in die Ecke gedrängt.
    »Komm schon,
mein Freund!« Fritz wirkte fast beleidigt. »Ich
würde es mir nie verzeihen, wenn dir jetzt etwas passieren
würde. Und du weißt sehr gut, dass ich den Mund halten
kann, wenn es darauf ankommt. Ich habe auch nichts über den
Kinderschänder verlautbaren lassen, stimmt’s? Erst als
du mir die Erlaubnis gegeben hast. Also, raus mit der Sprache: Was
hat es mit diesen Schlafwandlern auf sich?«
    Kraus warf Paula einen
wütenden Blick zu, den sie unerschrocken erwiderte.
»Lass dich nicht von deinem großen, dicken Schädel
in die Irre leiten. Drei Hirne denken besser als
eins.«
    Draußen schlugen
die Glocken der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche sechs Uhr.
Kraus sah in die zwei Augenpaare, deren Blicke ihn förmlich zu
durchbohren schienen. Er versuchte vergeblich, sie zu ertragen. Er
brauchte tatsächlich Hilfe. Und bei der Polizei vertraute er
keinem mehr.
    Als er seine
Geschichte zu Ende erzählt hatte, waren sie alle drei
stocknüchtern.
    »Diese
Mistkerle!« Fritz zerquetschte ein Päckchen Zigaretten
zwischen den Fingern. »Gerade wenn man glaubt, dass sie nicht
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