Schlafwandler
schlimmer werden können, als sie schon sind, stellt sich
heraus, dass sie noch hundertmal schlimmer sind.«
Paula ging hin und
her. »Hör zu, Willi. Du musst zugeben, dass du dich
Gustave nicht inkognito nähern kannst. Er würde dich
sofort durchschauen. Aber mich hat der Mann noch nie gesehen. Dich,
Fritz?«
»Mich? Nein,
noch nie. Gott sei Dank.«
»Da siehst
du’s. Es gibt keine andere Wahl. Du musst Fritz und mich
machen lassen.«
»Was machen
lassen? Wovon redest du da?«
»Ich tue so, als
wäre ich Polin. Mein Akzent ist perfekt. Wenn dieserr Gustaffe
sucht nach Beinen, dann … also … was mehrr kann er
sich dann wünschen?« Sie fuhr sich verführerisch
mit der Hand über ihre Beine. »Wir besuchen eine
Vorstellung von Gustave. Er wird mich hypnotisieren und mir
posthypnotische Instruktionen geben. Fritz wird mich nach Hause
begleiten. Und wenn ich losmarschiere, werden du und die halbe
Berliner Polizei mir folgen, wohin ich auch gehe. Das ist der
einzige Weg, die Höhle dieser Kerle
aufzuspüren.«
Die Ratten sollten
also den Köder schlucken und dann damit zu ihrem Loch
zurückrennen. Das war ein sehr guter Plan, das begriff Kraus
sofort. Wenn er funktionierte, würde ihm das Wochen
mühsamer Kleinarbeit und sinnloses Warten und Beobachten
ersparen. Aber selbst für eine ausgebildete Polizistin
wäre das zu gefährlich. Diese Mistkerle entführten
Frauen nicht einfach so.
»Das kommt
überhaupt nicht in Frage.«
»Vielleicht
willst du ja nur nicht zugeben, was für einen ausgezeichneten
Plan diese junge Dame da hat, hm?«, spottete Fritz.
»Dann sag mir, was du für eine Idee
hast.«
»Ich nehme
Gustave unter Arrest. Und durchsuche sein Haus. Mit oder ohne
Haftbefehl.«
Paula zuckte mit den
Schultern. »Du hast es doch selbst gesagt, Willi: Gustave ist
nur ein Zuhälter. Wenn du ihn jetzt einkassierst und er nicht
redet?«
»Oder schlimmer
noch«, meinte Fritz. »Wenn er wirklich nichts
weiß? Vielleicht schickt er die Opfer ja nur zu irgendeinem
vorher besprochenen Ort.«
»Er muss es
trotzdem arrangieren. Es mit jemandem besprechen.«
»Vielleicht
lassen sie ihn im Dunkeln tappen.«
»Aber
warum?«
»Weil«,
spekulierte Paula, »er es vielleicht nicht wirklich
freiwillig tut. Vielleicht … haben sie etwas gegen ihn in
der Hand.«
Kraus erinnerte sich
an die Jacht des Großen Gustave. An seine Verlage, sein
Vermögen. Er musste millionenschwer sein. Ganz sicher hatte er
es nicht nötig, Frauen wegen des Geldes zu entführen.
Vielleicht hatte Paula gar nicht ganz unrecht. Aber trotzdem: Kraus
würde um nichts in der Welt ihr Leben so leichtsinnig aufs
Spiel setzen.
Die Kirchenglocken
läuteten Mitternacht, als Fritz aufbrach. Kraus kochte vor
Wut. Paula hatte eine große Schau abgezogen und so getan, als
wollte sie mit ihm gehen, solange Kraus so ein störrischer
Esel war. Sie küsste Fritz lange auf den Mund und fuhr ihm mit
den Fingern durchs Haar, nannte ihn Liebchen und sorgte dafür,
dass Kraus genau mithörte, wie sie zu Fritz sagte, dass sie
wirklich sehr, sehr hoffe, ihn wiederzusehen. Kraus fehlte die
Geduld für solche Spielchen.
Als sie die Tür
schloss, ohrfeigte er sie. Er genoss es nicht, aber er meinte es
ernst.
Sie starrte ihn
schockiert an. Doch dann glühten ihre grünen Augen noch
mehr vor Liebe als zuvor. Er wendete sich ab, zu aufgewühlt,
um sie ansehen zu können. »Ich mache mich frisch«,
hörte er sie sagen, bevor sie die Badezimmertür schloss.
Er sank kraftlos gegen den Küchentresen.
Gestern, im Café
Rippa ,
hatte sein Gespräch mit Kai eine außerordentliche
Wendung genommen, und zwar kurz bevor sie gehen
wollten.
»Entschuldigen
Sie, dass ich mich da einmische, Inspektor Kraus«, sagte der
Junge wie aus dem Nichts. »Aber da wir ja ehrlich miteinander
sind …« Er fuhr flüsternd fort. »Ich habe
gehört, dass Sie mit einer gewissen Dame von der Tauentzien
auf recht vertraulichem Fuß stehen.«
Kraus war so
schockiert, dass er nicht wusste, was er antworten
sollte.
Trotz der vier
Millionen Einwohner konnte Berlin schrecklich klein
sein.
»Missverstehen
Sie mich nicht.« Kai zuckte mit den Schultern, zupfte an
seinem Poncho und suchte nach seiner Mütze. »Paula ist
die Beste. Alle lieben sie. Aber ich hoffe trotzdem, dass sie
keinen falschen Eindruck bei Ihnen hervorgerufen
hat.«
»Was meinst du
damit?«
»Dass sie jemand
ist, der sie nicht ist.« Er hatte seine große, weiche
Mütze gefunden und setzte sie auf.
»Ich weiß,
wer
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