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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Morgen
wett.
    Kraus nahm den Hut ab,
als er das Polizeipräsidium betrat, und der Geruch nach Wachs
im Foyer setzte unwillkürlich seinen Verstand in Gang. Er
beschloss, dass er die Akten von Deutschlands besten
Orthopäden über Weihnachten mit nach Hause nehmen und sie
dort sehr genau durchsehen würde. Er hatte sie schon ein
Dutzend Mal studiert, aber bis auf Meckel hatte er nichts gefunden.
Keiner der Ärzte hatte etwas über
Knochentransplantationen geschrieben. Und keiner hatte sich den
Nazis angeschlossen. Aber einer, ein gewisser Rudolf Kreuzler,
Chefarzt der Orthopädie an der Charité, hatte unter
seinen Angestellten einen jungen Chirurgen namens Oscar Schumann;
derselbe Name wie der seines »Freundes« aus dem
     
    Schwarzen
Hirsch. In
Berlin lebten allerdings Hunderte von Schumanns, und bis jetzt
hatte Kraus nichts gefunden, was diesen mit Meckel oder Spandau in
Verbindung brachte. Trotzdem würde er dem Kerl nach den
Feiertagen einen Besuch abstatten, nur um sicherzugehen.
Außerdem hatte er vor, von Schleicher aufzusuchen und ihn
darüber zu informieren, wie sein Freund Röhm mit dem Fall
Meckel umgegangen war. Obwohl der Mann gewiss genug um die Ohren
hatte, wo sich jetzt die Nazis und die Kommunisten gegen ihn
verschworen hatten.
    Es überraschte
Kraus nicht, dass Ruta im Büro war. Die Frau würde sich
nicht einmal von Artilleriefeuer abhalten lassen, zur Arbeit zu
kommen. »Wie war die Fahrt, Inspektor? Witzig?« Sie
mahlte energisch mit ihrer Kaffeemühle. Eine Sekunde dachte
er, sie hätte Itzig gesagt.
    »Oh, gut, ganz
gut. Ein ausführlicher Spaziergang schadet
niemandem.«
    »Ganz gewiss
nicht. Sehen Sie sich nur Ihre Wangen an, so schön gesund und
rot. Sie sehen blendend aus, und das trifft sich gut, denn in Ihrem
Büro wartet eine hübsche Dame auf Sie. Und zwar schon
seit über einer Stunde.«
    Er zog den Mantel aus.
»Dieselbe wie letztes Mal?«
    »Nein, Herr
Kriminalinspektor.« Ruta konnte nur mit Mühe ihre
Belustigung unterdrücken. »Eine andere. Sie ist
vielleicht nicht so sexy, aber sehr hübsch. Und
elegant.«
    »Das muss an
meinem neuen Eau de Cologne liegen.«
    »Unsinn. Sie
sind ein gutaussehender Mann und ein sehr begehrter
Junggeselle.«
    Es überraschte
Kraus, Sylvie, Fritz’ Exfrau, an seinem Schreibtisch sitzen
zu sehen. Sie sah tatsächlich sehr elegant aus in ihrem
schimmernden, schwarzen Kostüm und dem roten Spitzenschleier,
der die obere Hälfte ihres Gesichts verbarg. Früher
einmal hatten sich Vicki und sie so nahegestanden wie
Schwestern.
    »Willi.«
Sie drückte eine Zigarette aus.
»Endlich.«
    »Erzähl mir
nicht, dass du nur zufällig in der Nähe
warst.«
    Sie lachte und schlug
ihre langen, schlanken Beine übereinander.
» Au
contraire .
Ich musste Priester und alte Damen in die Flucht schlagen, um ein
Taxi zu ergattern.«
    »Was führt
dich zu mir?«
    Er sah hinter dem
Schleier einen Anflug von Enttäuschung auf ihrem Gesicht. Sie
hatte ihn bereits seit einigen Monaten wissen lassen, dass jetzt,
da Vicki nicht mehr da war und ihre Ehe mit Fritz vorbei …
Gewiss, sie passte viel besser zu ihm als Paula. Sie kam aus guter
Familie, war gebildet und sehr hübsch, wie Ruta gesagt hatte.
Außerdem hatte sie großartige Beine. Aber sie war nicht
sein Typ. Das war sie noch nie gewesen.
    Was konnte er dagegen
tun?
    Sie hob den Schleier
und zog eine sorgfältig zusammengefaltete Zeitung aus ihrer
Handtasche aus Krokodilleder, die sie ihm über den
Schreibtisch hinweg zuschob. Kraus erkannte sie sofort. Der
Stürmer. Die obszönste aller
antisemitischen Nazi-Publikationen. Die Titelseite zierte wie immer
die Zeichnung eines feindselig blickenden, hakennasigen Juden. Nur
diesmal, das erkannte Kraus auf den ersten Blick, zeigte die
Karikatur ihn selbst. Und die Schlagzeile darüber lautete:
JUDENINSPEKTOR KRAUS – EIN AGENT DER ROTEN!
    »Du weißt,
dass ich dir so etwas in einer Million Jahren nicht zeigen
würde«, murmelte Sylvie. »Aber ich glaube, du
musst das wissen. Mach schon, lies es!«
    Als wäre es
noch nötig, die Öffentlichkeit von der Korrumpiertheit
der Berliner Polizei zu überzeugen … laut unseren
Quellen wird der gefeierte Inspektor, der Jude Wilhelm Kraus, von
der Sowjetunion bezahlt, damit er den Fall der verschwundenen
Prinzessin Magdelena verpfuscht, um dadurch die harmonischen
Beziehungen zwischen Deutschland und dem Königreich Bulgarien
zu stören. Reichspräsident Hindenburg hat angeblich

    Kraus schob die
Zeitung zur Seite. »Was

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