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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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gesehen!«
    »Nein
…«
    Kraus ließ das
Mikrophon fallen und rappelte sich hoch. Er betete, dass es nicht
stimmte, aber selbst in der Dämmerung konnte man nicht
übersehen, dass das Boot vor ihnen eine scharfe Rechtskurve
beschrieb und jede Menge Gischt aufsprühte, als es praktisch
auf dem Heck wendete und dann geradewegs auf sie
zuraste.
    Es war ein
Desaster.
    Die Alternativen waren
schrecklich. Sie konnten die Angelegenheit mit Waffen austragen,
das war Kraus klar, denn er war nicht so dumm gewesen, unbewaffnet
zu sein. Oder sie konnten umdrehen und ihnen entkommen. Aber dann
war Paula verloren, ebenso wie Sachsenhausen. Oder sie konnten sich
einfach gefangennehmen lassen und so tun, als wären sie um
fünf Uhr früh zum Angeln hier. Aber diese Wahnsinnigen
konnten ihnen das ebenso gut glauben oder ihnen eine
Maschinengewehrsalve in den Leib jagen und sie in der Havel
versenken. Kraus brach der eiskalte Schweiß aus. Er suchte
hastig den Horizont ab. Es musste doch einen Ausweg geben. Ein
Ufer, irgendwo … eines wie … das da, das von
gewaltigem Farn gesäumt war.
    »Da
drüben!«, schrie er.
    Fritz hatte
verstanden.
    Ihr Boot schob sich
direkt im dichtesten Dickicht ans Ufer. Als der Schiffsboden
über den Grund schabte, schaltete Fritz den Motor aus. Der
Mond verschwand, und sie waren von Dunkelheit eingehüllt.
Große, herabhängende Zweige verbargen die
     
    Valentina .
    Das Dröhnen ihrer
Beute, die jetzt zum Jäger geworden war, wurde lauter. Fritz
und Kraus klammerten sich an das Deck. Kraus’ Kopf drohte vor
Angst fast zu platzen. Wenn sie entdeckt wurden, war alles vorbei.
Lauter … lauter … Das Boot war direkt auf ihrer
Höhe und … fuhr weiter, ohne sie zu bemerken. Sie
hatten es geschafft!
    Mit etwas Glück
konnten sie ihre Mission doch noch erfüllen.
    Doch sein Optimismus
erwies sich als verfrüht.
    Eine Minute
später argwöhnten die Männer auf dem anderen Boot
wohl, dass sie ihnen entwischt waren, und kehrten zurück,
langsamer diesmal und dichter am Ufer.
    Bang-Bang.
Bang-Bang-Bang! Es knatterte wie Reihen von Knallfröschen, als
ein Maschinengewehr das Feuer eröffnete. Sie schossen
vollkommen willkürlich in die Bäume. Als das Boot sich
näherte, regnete es Mahagoni-Splitter um Kraus herum.
Chromteile rissen sich mit schrillem Kreischen los. Funken flogen.
Zweige fielen herunter. Das Knallen hörte nicht auf. Der Feind
fuhr weiter und schien minutenlang auf das Ufer zu feuern. Dann
hörte es auf, und die Maschine heulte auf. Sie fuhren wieder
stromaufwärts auf die Havel hinaus, folgten ihrem
ursprünglichen Kurs.
    Fritz stöhnte
laut. Kraus schob sich die Zweige aus seinem Gesicht. Er hustete
durch den Pulverdampf und bemerkte, dass das Boot stark nach rechts
krängte. Das Funkgerät war nur noch ein Haufen qualmender
Drähte. Und Fritz lag auf seinen Ledersitzen, mit einem
blutigen Fleck auf der rechten Schulter. »Was haben sie mit
meiner wunderschönen Valentina gemacht?«,
stöhnte er.
    Verdammt soll
deine Valentina sein!, dachte Kraus
und suchte nach dem Verbandskasten.
    Was haben sie mit
unserer Mission gemacht?

ACHTZEHN
    Unter dem alles
verhüllenden Grün herrschte eine höllische
Dunkelheit. Jeder vergebliche Schritt auf dem Nadelteppich am Boden
hallte laut. Große Vögel kreischten höhnisch. Sie
hatten sich verirrt.
    Es hätte
schlimmer kommen können. Sie hätten ihr Leben verlieren
oder nach Sachsenhausen geschafft werden können, wo man ihnen
bei lebendigem Leib die Haut abgezogen hätte. Aber es war auch
so schlimm genug. Das Boot und das Funkgerät waren weg. Paula
ebenfalls. Fritz hatte sich eine Kugel in der Schulter eingefangen.
Der Verband, den Kraus ihm angelegt hatte, konnte die Blutung nicht
stillen. Fritz fing langsam an, ins Delirium zu fallen.
    »Wusstest du
…« Er stammelte und konnte kaum die Füße
heben. Kraus musste ihn stützen. »Wusstest du, dass
unsere germanischen Vorfahren glaubten, dass die ganze Welt von
einem gigantischen, immergrünen Baum gehalten
würde?«
    »Um Himmels
willen, Fritz, spar dir deine Energie.«
    »Und dass unter
seinen Zweigen die Waldgötter hausten, die über die Toten
urteilten, die zwischen ihren Wurzeln beigesetzt
wurden.«
    »Fritz, ich habe
gesagt, halt den Mund!«
    Das Letzte, was Kraus
jetzt noch brauchen konnte, war, an ihre heidnische Vergangenheit
erinnert zu werden.
    Sie stolperten ohnehin
durch eine übernatürliche Dunkelheit. Er hatte nicht die
geringste Ahnung, wo sie sich befanden. Es gab keine

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