Schlafwandler
entkamen
durch Löcher im Dach. Die Anlage war riesig. Kraus hatte Fotos
von riesigen Generatoren und überdimensionalen Keilriemen
gesehen, die hier Tag und Nacht gearbeitet hatten. Diese Apparate
waren verschwunden, aber nachdem sie ein paar Minuten gesucht
hatten, stießen sie auf die dunkle Wendeltreppe, die ins
Untergeschoss führte. Hier fanden sie ein halbes Dutzend
mannshohe Gänge vor, die alle in verschiedene Richtungen
führten.
Die Männer sahen
Kraus an.
Tunnel 15-27 war
pechschwarz, ein enger Schlauch aus Ziegeln und Spinnweben, in dem
man kaum Luft bekam. Es war drückend heiß. Sie krochen
hindurch und wurden nur von den Lichtstrahlen ihrer Taschenlampen
begleitet – und von den Ratten, die vor dem Licht flohen. Es
schien ewig zu dauern. Gerade als die Klaustrophobie einsetzen
wollte, tauchte auf der rechten Seite ein Durchgang auf. 27. Sie
krochen hindurch und fanden sich in einem Raum mit sauberem
Zementboden und holzverkleideten Wänden wieder. Ein
glänzender Heizkessel spendete Wärme. Sie hatten den
Keller des Instituts erreicht.
Kraus hatte von
draußen kein Licht im Inneren des Gebäudes entdeckt,
also ging er nicht davon aus, dass dort oben jemand war. Die
Fenster waren nicht verbarrikadiert. Und es gab nur zwei Wachen. Es
konnte sich auch um Laboratorien handeln. Um diese Zeit war
vermutlich niemand hier. Er würde Geiger mitnehmen …
wegen seiner medizinischen Kenntnisse. Die anderen konnten hier
warten. Bei dem Heizkessel hatten sie es wenigstens warm und
gemütlich.
»Wenn wir in
zehn Minuten nicht wieder zurück sind«, befahl er,
»dann sucht uns.«
Geiger und er stiegen
die Wendeltreppe hinauf. Es war totenstill. Fast seltsam friedlich.
Ein eisiger Windhauch fegte durch die Räume. Sie konnten den
Fluss riechen, so wie Kirkbride es beabsichtigt hatte. Kraus wusste
nicht, was ihn auf der anderen Seite der Tür erwartete, die
mit der Zahl 3 gekennzeichnet war, aber dahinter fanden sie nur
bröckelnden Gips und schimmelige Wände. Keinerlei
Anzeichen für eine Renovierung. Bei 2 verhielt es sich
genauso. Das Institut für Rassenhygiene steckte immer noch in
den Kinderschuhen.
Als er die Tür
mit der Aufschrift 1 aufstieß, besserte sich seine Laune, als
er die neuen Bodenfliesen sah. Die Wände waren frisch
gestrichen. Was es für Mühe gekostet hatte, diesen Ort zu
finden! Er wollte gerade den Raum betreten, als Geiger ihn
zurückhielt. »Willi …« Er deutete auf den
Boden. Ihre Schuhe waren schmutzig vom Tunnel. Säubern konnten
sie sie nicht, also blieb ihnen nur die Möglichkeit, sie
auszuziehen und den dunklen Gang auf Strümpfen zu
erkunden.
Sie beeilten sich.
Machten keine Geräusche. Hielten die Taschenlampen auf den
Boden gerichtet. Die Kälte des Bodens stieg ihnen in die
Fußsohlen. Kraus hatte eine Hand frei, falls er zur Pistole
greifen musste. Aber der Flur war zum Glück leer. Die erste
Tür, zu der sie gelangten, war deutlich markiert: Operationssaal. Als sie
hineinschlüpften, beleuchtete der Strahl ihrer Lampen nicht
nur einen oder zwei, sondern mindestens ein Dutzend
Operationstische. Der ganze Raum quoll förmlich über von
medizinischer Ausrüstung. In Schränken lagen brandneue
Skalpelle, Bohrer und glänzende Sets mit Messern.
»Es gibt kein
einziges Krankenhaus in Deutschland«, flüsterte Geiger
staunend, »das so gut ausgerüstet ist.«
An der nächsten
Tür stand Radiologie. So etwas hatte Geiger
ebenfalls noch nicht gesehen. Röntgenapparat an
Röntgenapparat, vollkommen bizarr einander
gegenüberliegend montiert. Zwischen zwei Geräten hing
jeweils ein seltsamer, hölzerner Harnisch mit Lederriemen. Es
dauerte eine Weile, bis Kraus begriff, dass er dazu diente,
Menschen festzuhalten.
»Das kann nicht
sein«, stieß Geiger hervor. »Gleichzeitiges Vor-
und Nachröntgen? Das ist zu viel. Es würde jeden
verbrennen. Und vermutlich auf eine schreckliche Art und Weise
töten.«
Dann kam die dritte
Tür. Der dritte Raum.
Auf dem Schild
stand: Muster.
Drinnen befanden sich
Dutzende von Vitrinen, bestückt mit kleinen, mit
Flüssigkeit gefüllten Gläsern. Ein genauerer Blick
verriet, dass in diesen Gläsern Objekte schwammen. Und ein
noch genauerer Blick enttarnte diese Objekte als Organe.
Menschliche
Organe.
Peinlich genau
kategorisiert und nummeriert.
EIERSTÖCKE
– 42:
Serbisch –
12. Russisch – 14. Tschechoslowakisch –
16.
HODEN –
16:
Griechisch –
8. Rumänisch – 4. Spanisch – 4.
GEHIRNE –
89:
Mental defekt
– 42.
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