Schlag auf Schlag
»Sic steht auf mich. Und wie.«
»Lass stecken«, winkte Myron ab.
Bei einem Seitenwechsel im dritten Satz sagte Win: »Anfangs dachten wir also, man hätte Valerie beiseite geschafft, weil sie etwas wusste, das Pavel Menansi schaden könnte. Jetzt glauben wir, man hat sie beiseite geschafft, weil sie in der Nacht, in der Alexander Cross ermordet wurde, etwas gesehen hat.«
»Das wäre zumindest möglich«, sagte Myron.
Während des nächsten Seitenwechsels spürte Myron, wie ihm jemand auf die Schulter tippte. Er schaute auf, dann hinunter, dann noch etwas weiter hinunter - und war überrascht. »Dr. Abramson«, sagte er.
»Hallo, Myron.«
»Guten Tag, Doc.«
»Guten Tag«, sagte sie. »Ihr Klient spielt sehr gut. Sie müssen hocherfreutsein.«
»Tut mir Leid«, sagte Myron. »Ich kann weder bestätigen noch abstreiten, dass Duane Richwood mein Klient ist.«
Sie lächelte nicht. »Finden Sie das komisch?«
»Eigentlich nicht«, antwortete Myron. »Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie Tennis-Fan sind.«
»Ich komme jedes Jahr hierher.« Sie erblickte Win. »Hallo, Mr. Lockwood.«
Win nickte. »Dr. Abramson.«
»Das ist meine Freundin Jessica Culver«, sagte Myron.
Die beiden Frauen schüttelten sich die Hände und lächelten sich höflich zu. »Ist mir ein Vergnügen«, sagte Dr. Abramson. »Na ja, ich wollte nicht stören, sondern nur mal schnell Hallo sagen.«
»Haben Sie später noch ein hisschen Zeit für ein paar Worte?«, fragte Myron.
»Nein, lieber nicht. Wiedersehen.«
»Haben Sie gesehen, dass Kenneth und Helen van Slyke auch hier sind?«
»Ja. Und ich habe auch gesehen, dass sie kurz das Stadion verlassen haben.«
Myron sah zu ihren Sitzen. Leer. Er lächelte. »Eine raffinierte Therapeutin sind Sie. Da kommen Sie doch tatsächlich zum Hallo-Sagen herüber, wenn gerade keiner guckt.«
»Und zum Auf-Wiedersehen Sagen«, ergänzte sie und erwiderte sein Lächeln. Sie drehte sich um und ging. Das Match ging weiter. Beim nächsten Seitenwechsel kamen die van Slykes zurück. Myron beugte sich zu Win. »Woher kennst du Dr. Abramson?«
»Ich habe Valerie besucht«, sagte er. »Oft?«
Win antwortete nicht. Möglicherweise hatte er kurz die Achseln gezuckt. Myron hatte jedenfalls verstanden, dass es ihn nichts anging. Er sah Jessica an. Sie zuckte auch die Achseln,
Duanes Spiel wurde jetzt zwar etwas unbeständiger, er machte jedoch immer noch genug direkte Punkte, um knapp in Führung zu bleiben. Er gewann den dritten Satz 7:5, führte mit 2:1 Sätzen. Damit war er nur einen Satz vom Finale der US-Open entfernt. In der Nike-Loge herrschte Hochstimmung. Ned wurde immer wieder auf die Schultern geklopft. Er lebte langsam wieder auf. Ein guter Mann kommt schnell wieder auf die Beine.
Senator Cross sah sich das Match schweigend an. Er unterhielt sich mit niemandem und wurde auch nicht angesprochen, Nicht einmal in den Pausen. Einmal hatte er Augenkontakt zu Myron aufgenommen. Der Senator hatte ihn lange angesehen, ohne sich dabei zu bewegen. Helen und Kenneth van Slyke unterhielten sich mit ihren Sitznachbarn, schienen sich jedoch nicht wohl zu fühlen. Frank Ache rückte sich im Schritt die Hose zurecht und quasselte Roy O'Connor voll, den Präsidenten von TruPro. Frank war bester Dinge. Roy sah aus, als müsste er sich gleich übergeben. Ivana Trump betrachtete ihre Umgebung. Jedes Mal, wenn ihr Blick Win streifte, warf der ihr Kusshände zu.
Bei einem Aufschlag im dritten Satz dämmerte es Myron. Es fing ganz klein an - ein Satz von Jimmy Blaine passte nicht genau. Eine Kleinigkeit bei der Verfolgung in Philadelphia. Alles andere ergab sich wie von selbst. Als er das letzte Teil des Puzzles eingefügt hatte, richtete er sich auf.
Win und Jessica sahen sich an. Myron starrte ins Leere.
»Was ist?«, fragte Jessica.
Myron wandte sich Win zu. »Ich muss mit Gregory Caufield sprechen.«
»Wann?«
»Sofort. Beim nächsten Seitenwechsel. Kannst du ihn ohne Begleitung loseisen?«
Win nickte: »Geht klar.«
45
In den ersten Tumierrunden war es nicht ungewöhnlich, dass 15 oder noch mehr Matches gleichzeitig liefen. Die großen Namen spielten meistens auf dem Stadium Court oder dem Grandstand, während andere Matches auf kleineren Plätzen stattfanden, von denen manche nicht einmal Sitzplatztribünen hatten. Heute waren diese Plätze so verwaist, dass Myron von einem vorbeirollenden Tumbleweed kaum überrascht gewesen wäre. Er wartete an Platz 16, einem mittelgroßen Platz, der nach dem
Weitere Kostenlose Bücher