Schlag auf Schlag
Heiratsgrund. »Seit wann sind Sie und Kenneth verheiratet?«
»Im April waren es sechs Jahre.«
»Verstehe. Die Hochzeit fand also ungefähr zu der Zeit statt, als Valerie in die Klinik eingewiesen wurde.«
Ihre Augen verengten sich und sie sprach jetzt langsamer. »Was wollen Sie damit sagen, Mr. Bolitar?«
»Nichts«, beteuerte Myron. »Ich will gar nichts damit sagen. Wirklich nicht.« Na ja, ein bisschen vielleicht doch. »Erzählen Sie mir etwas über Alexander Cross.«
Sie erstarrte wieder kurz, es wirkte fast, als verkrampfe sie sich einen Moment lang. »Was ist mit ihm?« Das klang jetzt gereizt.
»War es etwas Ernstes zwischen Valerie und ihm?«
»Mr. Bolitar«, - mit einem Anflug von Ungeduld - »Windsor Lockwood ist ein alter Freund der Familie. Weil er mich gebeten hat, habe ich eingewilligt, mit Ihnen zu reden. Sie haben sich vorhin als ein Mann vorgestellt, der versucht, den Mörder meiner Tochter zu finden.«
»Das tue ich auch.«
»Dann erklären Sie mir bitte, was Alexander Cross, der Nervenzusammenbruch meiner Tochter oder meine eigene Ehe mit Ihrer Suche zu tun haben.«
»Ich habe eine Vermutung, Mrs. van Slyke. Ich nehme an, dass es kein Zufallsmord war und Ihre Tochter nicht von einem Fremden ermordet wurde. Daraus ergibt sich, dass ich über ihr Leben Bescheid wissen muss. Über alles. Ich frage nicht nur so aus Spaß. Ich muss wissen, wer vor Valerie Angst gehabt hat, sie gehasst oder von ihrem Tod profitiert haben könnte. Das bedeutet, dass ich in sämtlichen unangenehmen Situationen ihres Lebens herumstochern muss.«
Sie hielt seinem Blick einen Moment zu lange stand und sah dann zur Seite. »Was genau wissen Sie über meine Tochter, Mr. Bolitar?«
»Ich kenne nur die Eckdaten«, sagte Myron. »Im Alter von nur sechzehn Jahren wurde Valerie bei den French Open zum neuesten Tennis-Wunderkind. Die Erwartungen steigerten sich ins Unermessliche, ihr Spiel stagnierte jedoch. Dann wurde es schlechter. Sie wurde von einem besessenen Fan namens Roger Quincy verfolgt. Sie hatte eine Beziehung mit dem Sohn eines berühmten Politikers, der später ermordet wurde. Dann erlitt sie einen Nervenzusammenbruch. Jetzt muss ich weitere Teile dieses Puzzles finden - und sie an den entsprechenden Stellen einfügen.«
»Es fällt mir sehr schwer, über diese Dinge zu sprechen.«
»Dafür habe ich vollstes Verständnis«, sagte Myron. Er hielt das Alan-Alda-Lächeln in diesem Fall für angebrachter als die Phil-Donahue-Variante: mehr Zähne und feuchtere Augen.
»Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, Mr. Bolitar. Ich weiß nicht, aus welchem Grund irgendjemand Valerie hätte umbringen wollen.«
»Vielleicht können Sie mir etwas über die vergangenen paar Monate erzählen«, sagte Myron. »Wie ging es Valerie? Ist irgendetwas Ungewöhnliches vorgefallen?«
Helen spielte mit ihrer Perlenkette, drehte sie so fest um ihre Finger, dass am Hals eine rote Druckstelle entstand. »Es ging ihr endlich wieder besser«, sagte sie, jetzt mit heiserer Stimme. »Ich glaube, das Tennis hat ihr geholfen. Sie hatte jahrelang keinen Schläger in die Hand genommen. Dann hat sie wieder zu spielen angefangen. Erst ein bisschen. Nur so zum Spaß.«
Dann brach die aufgesetzte Fassade zusammen. Helen van Slyke hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Tränen strömten aus ihren Augen. Myron nahm ihre Hand. Sie griff zwar fest zu, zitterte dabei jedoch.
»Es tut mir Leid«, sagte Myron.
Sie schüttelte den Kopf und zwang sich zu sprechen: »Valerie hat dann jeden Tag gespielt. Das gab ihr Kraft. Physisch und emotional. Endlich schien sie darüber hinwegzukommen. Und dann...«
Sie brach wieder ab, sagte plötzlich mit leerem Blick: »Dieses Schwein.«
»Wer?«, fragte Myron.
»Helen?«
Kenneth war wieder da. Mit schnellen Schritten ging er durchs Zimmer und umarmte seine Frau. Myron meinte zu sehen, dass sie vor seiner Berührung zurückzuckte, war sich aber nicht sicher.
Kenneth blickte Myron über die Schulter an. »Sehen Sie nur, was Sie getan haben«, zischte er. »Machen Sie, dass Sie rauskommen.«
»Mrs. van Slyke?«
Sie nickte. »Bitte gehen Sie, Mr. Bolitar. Das ist das Beste.«
»Sind Sie sicher?«
Kenneth schrie: »Raus hier! Sofort! Bevor ich Sie rauswerfe!«
Myron sah ihn an. Dies war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort. »Es tut mir Leid, Sie gestört zu haben, Mrs. van Slyke. Mein herzliches Beileid.«
Myron fand allein zur Tür.
9
Als Myron das kleine Polizeirevier betrat, klebte etwas
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