Schlag auf Schlag
als das. Er entmenscht sie. Ihre Jugend wird durch ihre Leistungen im Tennis völlig durcheinandergeworfen. Ihr Leben dreht sich nicht um Schule, Freunde und Familie. Es dreht sich um Geld und Sieg. Sie ist zur Ware geworden, zu einem Gebrauchsgegenstand. Sie weiß, dass diese Ware wertlos wird, wenn sie ihm nicht mehr gefällt. Und dass sie Ware ist, macht es ihm auch leichter.«
»Wieso?«, fragte Myron.
»Es ist viel einfacher, einen Gegenstand zu missbrauchen als einen Menschen.«
Schweigen.
»Und was geschieht, wenn alles vorbei ist?«, fragte Myron. »Was ist, wenn der weltberühmte Trainer die Ware eine Zeit lang benutzt und dann keine Lust mehr auf sie hat? Was geschieht dann mit dem jungen Mädchen?«
»Sie würde nach etwas greifen - nach irgendetwas - von dem sie glaubt, dass es sie retten könnte.«
»Wie zum Beispiel ihren früheren Freund?«
»Könnte sein.«
»Vielleicht möchte sie sich sogar sofort verloben.«
»Ja, das wäre möglich. In der Wiederaufnahme der Beziehung zu ihrem alten Liebhaber könnte sie eine Rückkehr zu ihrer verlorenen Unschuld sehen. Der Freund könnte zu einer Art Erlöser werden.«
»Nehmen wir mal an, dieser Liebhaber würde ermordet werden. «
»Dann hätte sie gar nichts mehr, woran sie sich festhalten könnte«, antwortete Abramson leise. »Das junge Mädchen hätte längst in eine intensive therapeutische Behandlung gehört. Nach einem solchen Schlag läge ein echter Nervenzusammenbruch durchaus im Bereich des Möglichen - wäre vielleicht sogar wahrscheinlich.«
Myron spürte, wie sich sein Herz zusammenzog.
Dr. Abramson blickte einen Moment zur Seite. »Aber in Ihrem Szenario gibt's noch weitere Aspekte, die man sich einmal näher ansehen müsste«, sagte sie und versuchte beiläufig zu klingen.
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, was während des Missbrauchs tatsächlich passiert ist. Wenn der weltberühmte Trainer, wie Sie sagten, ein narzisstischer Mensch war, hatte er nur seinen eigenen Lustgewinn im Sinn. Sie war ihm egal. Er hätte sich zum Beispiel nicht geschützt. Und da das Mädchen ziemlich jung und sexuell noch nicht aktiv war, hätte sie aller Wahrscheinlichkeit nach keine oralen Verhütungsmittel benutzt.«
Myron zuckte zusammen. Die Gerüchte fielen ihm wieder ein. »Sie war schwanger von ihm.«
»Innerhalb Ihres Szenarios«, sagte Abramson, »wäre das durchaus möglich.«
»Was wäre... ?« Er brach ab. Die Antwort lag auf der Hand. »Der weltberühmte Trainer hätte sie abtreiben lassen.«
»Ja, das könnte ich mir vorstellen.«
Schweigen.
Myron spürte, wie seine Augen feucht wurden. »Was sie durchgemacht hat...« Er schüttelte den Kopf. »Alle dachten, Valerie wäre schwach. Aber in Wirklichkeit -«
»Nicht Valerie«, korrigiert Abramson. »Ein junges Mädchen. Ein hypothetisches junges Mädchen in einer hypothetischen Situation.«
Myron blickte auf. »Versuchen Sie immer noch, sich nach allen Seiten abzusichern, Doc?«
»Sie können nichts sagen, Myron. Es war alles Theorie. Ich werde weder bestätigen noch abstreiten, dass Valerie Simpson je meine Patientin war.«
Er schüttelte den Kopf, stand auf und ging zur Tür. Als er dort war, drehte er sich zu ihr um. »Eine hypothetische Frage noch«, sagte er. »Der weltberühmte Trainer. Wenn er bereit war, ein Kind zu missbrauchen, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass er es wieder tut?«
Dr. Abramson sah ihn nicht an. »Sehr hoch«, sagte sie.
29
Als Myron wieder auf dem Stadium Court war, hatte Duane die ersten beiden Sätze 6:3 und 6:1 verloren, und es stand 2:2 im dritten. Myron setzte sich zwischen Jessica und Win. Er hatte sofort gesehen, dass Pavel Menansi nicht mehr auf seinem Platz saß. Aaron war noch da. Auch Senator Cross und Gregory Caufield waren in ihrer Loge. Er entdeckte Ned Tunwell im Kreise seiner Nike-Kollegen. Ned winkte nicht mehr. Genau genommen weinte er sogar. Die ganze Nike-Loge ähnelte einem Ballon, aus dem man die Luft herausgelassen hatte. Henry Hobman saß still wie eine Rodin-Skulptur.
Myron sah Jessica an. Sie wirkte besorgt, sagte jedoch nichts. Sie nahm seine Hand und drückte sie kurz. Er erwiderte den Druck und lächelte ihr zu. Sie trug jetzt eine Ray-Ban-Basecap in leuchtendem Rosa.
»Warum das Cap«, fragte er.
»Ich bekomme tausend Dollar, wenn ich es trage.«
Myron kannte den alten Werbetrick. Einige Firmen - in diesem Fall Ray-Ban - bezahlten die Leute in den Spielerlogen, wenn sie während der Matches Kopfbedeckungen
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