Schlag auf Schlag
weltberühmte Trainer ist eine Art Darwinist. Nur die Stärksten überleben, und so weiter. Er spielt hier gewissermaßen eine Doppelrolle. Einerseits zwingt die Einsamkeit das junge Mädchen, sich einen Ausweg zu suchen, einen Ort, an dem sie sich verwirklichen kann.«
»Der Tennisplatz?«, fragte Dr. Abramson.
»Genau. Das Mädchen trainiert noch härter als vorher. Und gleichzeitig ist der weltberühmte Trainer nett zu ihr. Während alle anderen grausam sind, wird sie vom weltberühmten Trainer gelobt. Er bleibt in ihrer Nähe. Er holt das Beste aus ihr heraus.«
»Was wiederum dazu führt«, warf Dr. Abramson ein, »dass sie sich noch weiter von den anderen Mädchen entfernt.«
»So ist es. Das junge Mädchen wird von dem Trainer abhängig. Sie glaubt, dass sie ihm etwas bedeutet, und wie jeder eifrige Schüler sucht sie - braucht sie - seine Anerkennung. Sie strengt sich noch mehr an. Außerdem weiß sie, dass es ihrer Mutter gefällt, wenn sie dem weltberühmten Trainer gefällt. Sie strengt sich also noch mehr an. Der Kreis schließt sich.«
Dr. Abramson musste merken, worauf Myron hinauswollte, in ihrem Gesicht war jedoch nichts zu erkennen. »Und weiter?«, fragte sie.
»Die Tennis-Akademie ist nicht das Leben. Es ist ein geschlossenes System, in dem der weltberühmte Trainer das Sagen hat. Doch er tut so, als läge ihm das junge Mädchen wirklich am Herzen. Er behandelt sie, als sei sie etwas Besonderes. Das Mädchen strengt sich noch mehr an, fordert sich mehr ab, als sie sich je hätte vorstellen können - und zwar nicht ihrer selbst wegen, sondern um ihm zu gefallen. Vielleicht klopft er ihr nach dem Training anerkennend auf die Schulter. Vielleicht massiert er ihr den verspannten Nacken. Vielleicht gehen sie eines Abends zusammen essen, um sich über ihr Spiel zu unterhalten. Wer weiß, wie es angefangen hat?«
»Wie was angefangen hat?«, wollte Abramson wissen.
Myron ignorierte die Frage. Vorerst. »Das junge Mädchen und der weltberühmte Trainer fahren gemeinsam auf Turniere«, fuhr er fort. »Wieder spielt sie gegen Frauen, die sie als Rivalin fürchten. Aber jetzt ist das Mädchen mit dem weltberühmten Trainer allein. Unterwegs. Sie wohnen in Hotels.«
»Weitere Vereinsamung«, ergänzte Abramson.
»Sie spielt gut. Sie ist schön, sie ist jung, sie ist Amerikanerin. Die Presse fängt an zu schwärmen. Das plötzliche Interesse verängstigt sie. Aber der weltberühmte Trainer ist bei ihr und beschützt sie.«
»Ihre Abhängigkeit von ihm wächst.«
Myron nickte. »Jetzt dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass der weltberühmte Trainer früher selbst ein weltberühmter Spieler war. Er ist den narzisstischen Lebensstil gewohnt, der das Dasein eines erfolgreichen Profisportlers bestimmt. Er tut das, wozu er Lust hat. Und genau die empfindet er in Gesellschaft dieses jungen Mädchens.«
Schweigen.
»Könnte das passieren, Doc? Theoretisch?«
Dr. Abramson räusperte sich. »Ja. Theoretisch. Wann immer ein Mann Macht und Autorität über eine Frau hat, ist die Wahrscheinlichkeit eines Missbrauchs hoch. Aber in Ihrem Szenario steigert sich diese Wahrscheinlichkeit bis aufs Äußerste. Der Mann ist älter, die Frau noch ein Kind. Ein Lehrer oder ein Chef hat sein Opfer vielleicht ein paar Stunden am Tag unter Kontrolle, aber in Ihrem Fall ist der Trainer sowohl allmächtig als auch allgegenwärtig.«
Sie sahen sich an.
»Das Mädchen in meinem Szenario«, sagte Myron leise. »Würde ihr Spiel sich verschlechtern, wenn er sie missbraucht?«
»Ohne Frage.«
»Was würde sonst noch mit ihr geschehen?«
»Kein Fall ist wie der andere«, erwiderte Abramson, als hielte sie einen Vortrag. »Aber am Ende stünde in jedem Fall die Katastrophe. Für das junge Mädchen ist diese Verbindung wahrscheinlich anfangs nicht mehr als eine Schwärmerei. Dieser anspruchsvolle ältere Mann ist als Einziger nett zu ihr. Er versteht sie und kümmert sich um sie. Vermutlich braucht sie ihm gar keine verschämten Angebote zu machen - im Lauf der Zeit kommt es einfach zu Annäherungsversuchen. Vielleicht ermutigt sie ihn anfangs noch, wahrscheinlich jedoch nicht einmal das. Eventuell widersetzt sie sich sogar, aber gleichzeitig fühlt sie sich schuldig. Sie macht sich Vorwürfe.«
Myron spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte. »Und daraus ergeben sich weitere Probleme.«
»Ja. Sie haben erzählt, wie der weltberühmte Trainer sie abschottet«, fuhr Abramson fort. »Aber in Ihrem Szenario tut er weit mehr
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