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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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Kolben.
    Er war auf dem Gipfel seiner Kraft. Hart, geschmeidig, stärker würde er nicht mehr werden. Sein Problem war, an Felix heranzureichen. Felix wich rechtzeitig zurück oder zur Seite, wenn Mert ihn bedrängte. Die Finger der Punktrichter zuckten unaufhörlich über den Knöpfen, mit denen sie einen Treffer werteten. Von der ersten Reihe aus verbreitete sich die Spannung unter den Zuschauern, sodass es ungewöhnlich ruhig wurde, unterbrochen nur von vielkehligen »Ahhhs« und »Ohhhs«, wenn eine Aktion gelang oder ein Schlag verfehlte.
    Felix war zum Boxen gekommen wie andere Menschen zur Religion. Sein Vater hatte ihn mit zehn Jahren bei BSG Lokomotive Görlitz angemeldet. Ab diesem Zeitpunkt erschien Felix pünktlich zu jedem Training, wenn er nicht krank oder verletzt war. Mit zwölf Jahren bestritt er seinen ersten Kampf, Junioren-B-Turnier, Mittelgewicht, bis 54 Kilogramm. Seine dünnen Arme steckten in großen Boxhandschuhen, und seine Schläge wirkten wie die ersten Schritte eines Fohlens.
    Mit sechzehn Jahren wurde Felix Juniorenmeister der DDR, in all seinen Kämpfen boxte er variantenreich und überlegen. Seine Schläge wirkten nun wie die Scharniere einer Taschenuhr, die präzise umschnappen.
    Im »Görlitzer Boten« erschien daraufhin das erste Porträt des Juniorenstaatsmeisters Felix Borau, der in die Boxschuhe seines Vaters Heinrich Borau wuchs, selbst ehemaliger DDR-Staatsmeister und Olympia-Qualifikant. Zu Hause oder im Verein nannte man ihn Felix, überall sonst war er der »kleine Borau«.
    Mit achtzehn Jahren wurde Felix Vizemeister der DDR, im Finale unterlag er Volker Thurau aus Dessau knapp nach Punkten. Wenn Felix verlor, dann gegen einen der wenigen Kämpfer, die eine Runde mit noch höherer Schlagfrequenz durchboxen konnten. Viele gab es davon nicht, und Felix trainierte nach einer Niederlage noch verbissener, sodass die Zahl derer, die ihn schlagen konnten, stetig kleiner wurde.
    Mit zwanzig Jahren wurde er der erste gesamtdeutsche Meister im Mittelgewicht nach der Wiedervereinigung. Sein härtester Gegner war in der Vorausscheidung wiederum Volker Thurau gewesen, der Felix aber am Ende von drei Runden mit zwei Punkten Differenz unterlag. Die Qualifikanten aus dem Westen stellten im Vergleich zu Thurau keine Herausforderung dar.
    Danach war Felix endgültig eine Berühmtheit in Görlitz, wie schon sein Vater vor ihm. Er wuchs auf 188 Zentimeter Körpergröße und musste ins Halbschwergewicht aufsteigen, da er sein Gewicht nicht unter 75 Kilogramm halten konnte. Felix stellte sich um, auf die höhere Schlaghärte und die niedrigere Frequenz. Er brauchte keine drei Monate dafür, dann gewann er den Chemie-Pokal in Halle.
    Felix trainierte gerne und viel. Wenn er nicht trainierte, fühlte er sich unwohl. Muskelübersäuerung und strapazierte Sehnen ließen ihn die Grenze zur Außenwelt klar spüren. Hier stand er, mit jeder Zelle, draußen der Rest. Felix brauchte keine freien Wochenenden und machte nicht gerne Urlaub, weil er da nicht trainieren konnte. Er mochte auch keine hohen Temperaturen, weil er sich dann nicht mehr im Kontrast zu seiner Umwelt wahrnahm. Wenn es zu warm war, verschwamm die Kontur seines Körpers. Dadurch fühlte er sich verloren, ungenau, wie ein schlecht gemaltes Bild seiner selbst.
    Mert war zum Boxen gekommen wie andere Jungs in eine Besserungsanstalt. Die Aggressionsprobleme des Sohnes machten dem Ehepaar Schulz seit Merts Kinderzeit zu schaffen. Die Schule hatte er abgebrochen, seine Lehrstelle als Spengler verlor Mert, weil er dem Polier einen Werkzeugkasten an den Schädel gerammt hatte. Der Polier hatte ihn zuvor verdächtigt, Geld aus der Kaffeekasse gestohlen zu haben. Merts Vater redete im Krankenhaus so lange auf den Polier ein, bis dieser seine Anzeige wegen Körperverletzung zurückzog. Als Dank bekam der Polier einen großen Fernseher, einen Videorekorder und eine Stehlampe.
    Merts Vater arbeitete als Versandleiter einer Handelskette, die Mutter war Hausfrau. Die Nachbarn in der Reihenhaussiedlung hatten sich Anfang der Siebziger noch über die Ehe einer Türkin mit einem Deutschen gewundert. Die Zeiten änderten sich.
    Doch wenn Mert nachts von der Polizei nach Hause gebracht wurde, fürchtete der Vater immer, dass die Polizisten Schlüsse daraus zogen, dass er mit einer türkischen Ehefrau im Türrahmen stand. So als würde den Eltern unterstellt, ihrem Sohn eine Hypothek mitgegeben zu haben, eine Zerrissenheit zwischen den Kulturen. Dabei

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