Schlag weiter, Herz
ist klein, dick und erstaunlich kräftig. Der Schweiß läuft ihr übers Gesicht, wenn sie seine 95 Kilo Kampfgewicht durchknetet. Sie arbeitet sich von den Füßen bis zum Kopf hoch. Sie bearbeitet seine Waden, Schenkel und Arme so, dass sich die verklebten Muskelfasern lösen. Sie drückt die Muskelansätze im Schulterbereich bis an die Grenze des Erträglichen. Oft schläft Mert ein, nur um dann hochzuschrecken, wenn sie einen hartnäckigen Knoten zwischen seinen Schulterblättern mit ihrem Ellbogen bearbeitet. Hinterher fühlt er sich erfrischt und etwas weniger beschädigt. Seit vielen Monaten ist diese Massage für Mert die einzige Form von Berührung, die kein Schlag ist.
Die Masseurin begrüßt ihn leise mit einem Kopfnicken und gefalteten Händen. Sie klopft mit der flachen Hand auf die Liege, so wie man einem Hund seinen Platz zuweist. Mert legt sich hin, bettet seinen Kopf seitlich auf das Kissen und schläft fast ein, während die Frau seine Fußsohlen knetet. Er muss an Ali denken. Was der wohl gerade macht?
Unter den kleinen, harten Muay-Thai-Kämpfern hatte sich herumgesprochen, wie gefährlich Alis Schläge waren, dass er aber Tritte zum Schienbein nicht gut wegstecken konnte. »Alter, lieber lass ich mir von dir zehnmal in die Fresse hauen, als dass mir einer dieser irren Thais noch mal das Schienbein zertritt«, erklärte er Mert. Sie waren gerade zwei Monate auf Phuket, und Ali bestritt seinen dritten Kampf.
Sein Gegner malträtierte Ali mit Low-Kicks. Schnelle tiefe Tritte, die Ali nur abblocken konnte, indem er sein Knie hob und Schienbein auf Schienbein knallte. Schon nach dem dritten Kick fing Ali an zu brüllen – »Du Wichser!« –, was nur Mert verstehen konnte und die deutschen Touristen, die am Ring saßen. Ali stakste im Kreis wie ein Kranich, sprang weg und versuchte überfallartig anzugreifen, um seine Schlagtechnik einsetzen zu können. Zweimal gelang es ihm, nah genug an seinen Gegner heranzukommen, um diesen mit Schlägen einzudecken, doch er wurde rasch umklammert und bekam links und rechts das Knie in die Seite gestoßen. Sobald der Ringrichter sie trennte, griff Alis Gegner wieder mit tiefen Kicks an. Also ging Ali dazu über, in die Höhe zu springen, wenn nach ihm getreten wurde, was so absurd aussah, dass Mert lachen musste. Einigen Zuschauern ging es genauso, und Ali hüpfte hoch und höher. Es sah aus wie der Tanz eines Verrückten.
In der Rundenpause ließ Ali sich auf den Hocker fallen und spuckte seinen Mundschutz bis in die Mitte des Rings. Nok, ihr thailändischer Trainer, hatte ihm ein großes Blechtablett untergeschoben, überschüttete Ali mit Wasser und massierte ihm die Verkrampfung aus den Beinen. Ali beschwerte sich lautstark bei Mert. »Der Typ kann gar nichts am Handschuh, aber ich schwör dir, wenn er mich noch einmal tritt, dann besorg ich mir ’ne Waffe und schieß ihm die Kniescheiben weg.«
Mert machte einen gequälten Gesichtsausdruck. In seinen Mundwinkeln bildeten sich Höcker, um seine Augen ein Fächer aus Falten. Ali bemerkte sofort, dass Mert sich das Lachen verkniff. »Das findest du auch noch lustig, was?«, kläffte Ali. »Du stehst da ja nicht.«
»Viel gestanden hast du auch nicht.«
Ali war baff. Zehn Sekunden sagte er gar nichts, so lange hatte Mert ihn selten still erlebt. Dann fing Ali sich wieder. »Hast du ’nen Clown gefrühstückt? Sag mir bitte mal, was ich mit dem Spinner machen soll!«
»Du machst das schon richtig. Sieht nur komisch aus. Versuch ihn in die Halbdistanz zu bekommen.«
»Dann hämmert er mir sein Knie in die kurzen Rippen.«
»Halbdistanz, nicht klammern.«
»Klammern ist das Einzige, was der sonst noch kann, außer link treten.«
»Dann halt nicht dagegen.«
»Was?«
»Heb dein Bein, aber halt nicht dagegen, vielleicht verliert er die Balance, wenn er treten will, aber keinen Widerstand findet. Dann muss er nach vorne absetzen und rennt dir in die Fäuste.«
Genauso kam es. Immer wenn der Gegner tief nach Ali trat, nahm der sein Bein hoch und ließ es beim Aufprall locker nach hinten schlenzen. Das tat auch weh, so viel konnte Mert an Alis Gesichtsausdruck ablesen. Aber sein Gegner war überrascht, musste den Fuß nach vorne absetzen und kam die entscheidenden Zentimeter näher, die Ali brauchte, um ihn mit den Fäusten zu treffen. Ali konnte Serien anbringen und seinen Gegner fast k. o. schlagen. Er verlor den Kampf trotzdem nach Punkten und die folgenden zwei Begegnungen ebenfalls.
Im Gegensatz
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