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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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Worte fassen sollte, also schwieg er. Nach langen Sekunden fragte sein Vater: »Hast du nichts zu sagen?«
    »Leck mich am Arsch.«
    Rainer Schulz fuhr hoch und holte mit seiner Hand weit hinter dem Kopf aus, um Mert eine Ohrfeige zu verpassen. Doch im letzten Moment erkannte er, dass dies genau die Absicht seines Sohnes war. Mert hatte schon früher Schläge kassiert, wenn er dabei erwischt worden war, wie er einen Zigarettenautomaten aufgeknackt oder seiner Mutter zehn Mark aus der Haushaltskasse gestohlen hatte. Mert nahm Ohrfeigen stets hin, ohne irgendeine Reaktion zu zeigen. Aber an diesem Abend war er in der Stimmung, seinem Vater zu zeigen, was er beim Training gelernt hatte.
    »Das hier ist kein Hotel«, sagte sein Vater, »und schon gar kein Unterschlupf für Kleinkriminelle.« Dabei hob er die Pornomagazine hoch und ließ sie auf den Tisch knallen, sodass der Haschischklumpen bis vor Mert rollte.
    Mert starrte seinen Vater wütend an. Seine Mutter wendete sich ab, schob ihren Stuhl zurück und verließ die Küche.
    »Du kannst hier nicht mehr wohnen und unsere Liebe weiter ausnutzen.«
    Mert erwiderte nichts, ging in sein Zimmer, wühlte ein paar Kleidungsstücke und die Big-Jim-Figuren aus der obersten Kiste und stopfte sie in seine Tasche. Dann trat er so häufig gegen die restlichen Kisten, bis sie wie verfallene Gebäude aussahen, aus denen die Reste seines alten Lebens quollen.
    Mert flüchtete nicht weit. Nur zwei Stockwerke über der Wohnung seiner Eltern wohnte Monika Speehahn allein mit ihrem siebenjährigen Sohn, seitdem sie ihren Mann vor die Tür gesetzt hatte. Ihre Lebensgewohnheiten waren gelegentlich Thema in der Nachbarschaft. Mert hatte bemerkt, dass sein Vater sie freundlich grüßte, wenn sie ihr zu zweit über den Weg liefen, sie aber ignorierte, sobald seine Mutter dabei war. Wenn von ihr die Rede war, wurde sie nur »die junge Frau Speehahn« genannt, und es hörte sich an, als sei das etwas Unanständiges.
    Mert hatte Monika kennengelernt, als er eines Tages nach dem Training nach Hause kam und keinen Schlüssel dabeihatte. Seine Mutter war einkaufen, und er saß vor der Wohnungstür, als Monika sich mit drei Einkaufstüten in den vierten Stock schleppte. Mert hatte ihr die Tüten abgenommen und als Dank ein Glas Cola bekommen. Sie hatte ihn gefragt, wie er so stark geworden sei, und er erzählte ihr vom Boxen. Stolz zeigte er seinen Bizeps und zog sein T-Shirt aus, um zu demonstrieren, wie sich seine Bauchdecke verändert hatte. Monika befühlte seine Arme, seine Schultermuskeln, seinen Bauch. Sie fuhr die Kontur seiner Leisten nach, wo sich zwei Furchen gebildet hatten.
    Mert war nervös gewesen, und als Monika ihn nach dem Grund fragte, hatte er ihr erklärt, dass er nicht wisse, wie er sich ihr gegenüber verhalten solle, weil sein Vater mal so und mal anders auf sie reagierte. Sie hatte daraufhin von Scheinheiligkeit gesprochen und ihn gefragt, ob es noch etwas anderes gebe, was ihn nervös mache.
    So hatte Mert zum ersten Mal Sex. Mit seiner Nachbarin, die zehn Jahre älter war als er. Ihr Sohn klopfte nach einiger Zeit an die Tür, weil er fürchtete, dass es seiner Mutter schlecht ging, da sie merkwürdige Geräusche machte. Doch sie schickte ihn weg.
    Danach war Mert immer wieder mal zu Besuch gekommen. Im Gegensatz zu den gleichaltrigen Mädchen, die Mert aus der Schule kannte, war Monika offen und unkompliziert. Sie sagte ihm, was sich gut und was sich schlecht anfühlte, und fragte ihn, was er gerne mochte. Trotzdem war es Mert nach einiger Zeit unangenehm gewesen, sie nur mit der Absicht zu besuchen, mit ihr zu schlafen. Er war fast ein Jahr nicht mehr bei ihr gewesen.
    »Dich habe ich ja ewig nicht mehr gesehen«, sagte Monika, als sie die Tür öffnete. »Was willst du denn hier um diese Uhrzeit?«
    »Ich bin rausgeflogen«, sagte Mert.
    Monika war ungeschminkt, die mattblonden Haare hatte sie zu einer Palme auf dem Kopf zusammengerafft.
    »Na komm erst mal rein.«
    Sie setzten sich ins Wohnzimmer, und Mert erklärte ihr, was vorgefallen war. Er zitterte immer noch vor ohnmächtiger Wut, dass sein Vater sein Zimmer durchsucht hatte. Als Monikas Sohn plötzlich im Türrahmen stand, um zu erfahren, wer zu Besuch war, beruhigte sie ihn. »Das ist Mert, der Junge von den Schulzens, den kennst du doch. Der schläft heute bei uns, weil die Schulzens einen Wasserschaden haben.«
    Der Kleine setzte sich zu ihnen, ohne Mert weiter zu beachten. Sie sahen zu dritt fern, aßen

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