Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
Vom Netzwerk:
außerhalb des Rings gesehen hatte, die ausgeschüttete Kraft, die nur langsam in den Körper zurückkehrt. Ausgerechnet ein Boxer, und dann auch noch einer von der Sorte, wie ihr Vater und ihr Bruder sie ablehnten.
    Felix hatte Mert als »Instinkt-Boxer« bezeichnet. Das war im Hause Borau fast eine Beleidigung, weil es dem Gegenüber die Denkleistung absprach. Felix und Heinrich Borau stellten sich im Vergleich zu solchen Kämpfern wie Dompteure dar, die ein gewisses Maß an Gefahr bändigen müssen, um letztlich der schlichteren Kreatur überlegen zu sein. Doch Nadja mochte diesen Instinkt, der nicht prüfte, sondern handelte. Mert verschwendete keine Gedanken daran, was andere von ihm dachten oder wie er sich verhalten sollte. Mert kannte keine Taktik, er war ganz Tat.
    Als Nadja am Donnerstag von der Arbeit nach Hause kam, war Mert noch da. Er hatte sich den Tag in ihrer Wohnung vertrieben, ferngesehen, Gegenstände inspiziert. In einem Kästchen, das mit chinesischen Schriftzeichen verziert war, fand er ein paar Fotos, die Nadja als junges Mädchen zeigten, auch Bilder von Felix und einem aus der Zeit gefallenen Paar, vermutlich Nadjas Eltern. In dem Kästchen lagen auch zwei kleine schwarze Bücher, Jahreskalender, in denen Nadja persönliche Sachen notiert hatte. Die Einträge gaben größtenteils Ereignisse aus dem Arbeitsleben oder Ausflüge mit ihrem Bruder wieder. Gelegentlich standen auch Einträge zu Begegnungen mit Männern darin. Nadja hatte bestimmte Namen mit Zeilen aus Liedern gekoppelt. Mert nahm an, dass sie ein besonderes Lied mit jedem betreffenden Mann verband. »Heute mit Robert amüsiert« zum Beispiel, wobei Mert »amüsiert« mit »gevögelt« übersetzte, und daneben »Whitney Houston, Always love you«. Viele Seiten waren gar nicht beschrieben, zwischendurch stand nur das Wort »müde« auf einem einzelnen Blatt, wie ein Lebenszeichen in der Leere. Als Mert die Jetztzeit erreichte, las er, dass Nadja eine Affäre mit einem Mann namens Marcel gehabt hatte, mit dem sie sich gelegentlich »amüsierte«, dazu kamen Eintragungen über einen Gunther, und dann hatte sie auch schon die erste Begegnung mit ihm vermerkt. »Schwerin, Busfahrt. Lustiger Abend. Mert?«, stand dort. Danach wieder Eintragungen zu Gunther und Marcel. Mert fühlte sich betrogen. Er legte die Bücher in der entnommenen Reihenfolge zurück in die Schachtel und wartete auf Nadja.
    An diesem ersten Abend, den sie wie ein Paar verbrachten, fragte Mert: »Hast du eigentlich an mich gedacht, nach der Busfahrt?«
    Nadja ging nicht darauf ein.
    »Ich habe andauernd an dich gedacht«, sagte er.
    Nadja setzte sich auf die Fensterbank und sah ihn skeptisch an, während sie sich eine Zigarette anzündete. Mert wusste selbst nicht, worauf er hinauswollte. Nadja nahm die Pose eines Pin-up-Girls aus den Fünfzigern ein, Mert zog die Mundwinkel hoch.
    »Schwein«, sagte sie.
    »Nicht so, wie du denkst. Ich habe mir ganz normale Dinge mit dir vorgestellt.«
    »Was ist denn normal?«
    »Eher so alltägliche Sachen, ins Kino gehen, spazieren gehen.«
    »Das ist aber enttäuschend. Bin ich so unsexy?«
    »Ich habe mir eher vorgestellt, wie wir zusammen sind, was wir so tun und wie wir reden. Wie du so bist.«
    »Und. Wie war ich da?«
    »Gut.«
    »Und jetzt?«
    »Besser. Besser, als ich es mir vorgestellt habe.«
    Nadja rutschte von der Fensterbank, beugte sich über den Küchentisch, nahm sein Gesicht in ihre Hände und küsste ihn.
    »Ich habe auch an dich gedacht, nach der Busfahrt. Sehr oft sogar.« Mert wusste, dass er sich freuen sollte. Stattdes sen gingen ihm Namen durch den Kopf. Gunther, Marcel.

11
    Hundert Meter die Straße runter, auf der Strandseite, arbeitet die Masseurin, die Mert alle zwei Tage besucht. Er hat sich vor Monaten für eine Masseurin entschieden, so wie er seine Wäsche immer zur selben Wäscherei bringt, in denselben Schnellküchen essen geht, im selben Mini-Mart einkauft und beim selben Händler Obst holt. Er zahlt überall feste Preise, mehr als die Thais, aber weniger als die Touristen. Seine Masseurin bekommt dreihundert Bhat, sie weiß genau, welcher Teil seines Körpers härter angefasst werden muss und wo sie vorsichtig sein soll. Sie drückt sein linkes Knie nicht nach hinten, weil Mert ihr dabei einmal fast von der Liege gesprungen wäre, sie knetet seine rechte Hand sanfter als die linke, im Nacken arbeitet sie an den Wirbeln vorbei, und sie hat nie versucht, ihm ein »happy ending« anzudrehen. Sie

Weitere Kostenlose Bücher