Schlag weiter, Herz
belegte Brote, und Monika richtete Mert die Couch, bevor sie ihren Sohn zu Bett brachte. Als Mert schon schlief, schlüpfte Monika unter seine Decke und setzte sich auf ihn. Nachdem sie sich befriedigt hatte, wünschte sie Mert eine gute Nacht und verschwand, wie ein Traum, den er am nächsten Morgen vergessen haben würde.
13
Mert bestellt ein drittes Bier in der Sunshine Bar und beobachtet seine Lieblingstänzerin, die immer lacht und aussieht wie eine japanische Comicfigur. Mert nennt sie Manga-Mädchen. Sie tanzt um die Stange, versucht sich an Bewegungen, die sie für besonders sexy hält. Dann sieht sie Mert und kichert. Die Mamasan zupft an seinem T-Shirt und tut so, als wolle sie ihm das nächste Bier nicht geben. Die Mamasan war früher Thai-Boxerin und beschwert sich oft über ihren amerikanischen Ehemann, von dem sie gehofft hatte, er würde sie in die USA mitnehmen. Nun liegt er faul am Strand, fängt mittags an zu trinken, und sie muss das Geld verdienen.
»You don’t fight?«, fragt die Mamasan. Männer ohne Disziplin kann sie nicht leiden.
»Two weeks«, sagt Mert und hält dabei zwei Finger in die Höhe.
»You drink?«
»Today last day.«
Ab morgen wird Mert keinen Alkohol mehr trinken, so gesund essen und so viel schlafen wie möglich. Heute bestellt er sich noch ein viertes Chang, weil sich die angenehme Dumpfheit, die er sonst nach drei Flaschen Singha spürt, nicht einstellen will.
Durch das Hochwasser in Bangkok sind fünfhundert Menschen umgekommen, doch die »Phuket News« berichtet darüber, dass die Singha-Brauerei keinen Nachschub liefern kann. So unterscheiden sich die Dramen durch die Orte, an denen man ihre Wirkung spürt. Mert prostet der Mamasan zu, hebt sein Glas und sagt »Beer Crisis!«. Die Mamasan sagt »Yes, yes«, schüttelt den Kopf, und ihre dicken Locken folgen mit leichter Verzögerung.
Die Bar füllt sich, Mert läutet die Glocke, »Ring bell – shooters for all«, dann gibt er der Mamasan tausend Baht, die sie mit seinem Bier verrechnen wird. Die Mädchen strömen hinter der Bar hervor und vom Tresen herunter. Sie versuchen die Gäste zum Spielen zu bewegen, zu mehr Alkoholkonsum und später noch dazu, sie mitzunehmen.
Das Manga-Mädchen tanzt auf Mert zu, setzt sich auf seinen Schoß, gibt ihm einen Kuss und lacht. Dann geht sie wieder weg, wie über einen Laufsteg, und kümmert sich um einen echten Kunden. Mert spürt einen kurzen Stich, fast wie Eifersucht. Das Manga-Mädchen legt den Arm um einen konturlosen Mann Ende fünfzig, der ein T-Shirt mit der Aufschrift »No Money. No Honey« trägt. Mert prostet ihm zu.
Mert beobachtet die Männer. Diejenigen, die zum ersten Mal da sind, erkennt er sofort. Sie sind noch nicht vertraut mit den Mechanismen des Handels, tragen eine Mischung aus Überheblichkeit und Scheu im Ausdruck. Diese Männer bewaffnen sich mit Geld, das hier viel mehr wert ist als zu Hause, wirken aber gleichzeitig geschwächt durch die Scham, sich in die Kumpanei der Bedürftigen zu begeben. Viele Männer zeigen sich hier von ihrer schlechtesten Seite. Vielleicht schätzt Mert ihre Gesellschaft deswegen. Er fühlt sich dann nicht mehr so allein.
Mert hat noch nie für Sex bezahlt, auch nicht in den Jahren, als er auf dem Kiez arbeitete und es nahegelegen hätte, zumindest einmal eines der Mädchen zu begleiten, die er fast täglich grüßte. Aber auch wenn die Mädchen am Hans-Albers-Platz freundlich waren und sich unermüdlich anboten, war Mert doch zu eitel. Frauen sollten freiwillig mit ihm schlafen. Sie sollten Lust auf ihn haben. Für Sex zu bezahlen wäre ihm wie eine Niederlage vorgekommen. Damit machte man in Merts Augen vor allem klar, wie tief man seinen eigenen Marktwert einschätzt.
Da Mert sonst keine Frauen kennenlernt, lebt er abstinent. Fast als hätte er sich Sex abgewöhnt. Manchmal erscheint es ihm wie ein verspätetes Treuegelübde. Er war nie treu, und jetzt, wo er es nicht mehr sein muss, ist er es. Es geht dabei nicht um Nadja, sondern um ihn. Er sieht den Mädchen in der Sunshine Bar auf den Hintern, wenn sie tanzen. Manchmal erregt ihn ihre Show, wenn sie ihn direkt anmachen oder ihm ihre Brüste anbieten. Doch die Erregung funktioniert nur, weil er weiß, dass sie wissen, dass bei ihm nichts zu holen ist. Sie tun es freiwillig. Das gibt ihm ein Gefühl von Erhabenheit. Er bleibt sich selbst treu.
Das Manga-Mädchen hat den konturlosen Mann zum Tanzen aufgefordert. Aber dem Freund des Mannes wird langweilig, und er
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