Schlag weiter, Herz
will mitmachen. Also nehmen die beiden Männer das Mädchen in die Mitte, und das ist ihr nicht recht. Sie versucht sich mit einem Kichern aus der Umklammerung zu lösen, dann entzieht sie sich seitwärts und verschanzt sich hinter dem Tresen neben der Mamasan. Die beiden Männer beschweren sich wie verlassene Liebhaber. Sie versichern sich ihrer Überlegenheit mit Worten, die in ihrer Sprache vermutlich nichts Nettes bedeuten, achten jedoch gleichzeitig darauf, Merts Blick nicht zu kreuzen. Das Manga-Mädchen kann sich hinter ihm und der Bar verstecken.
Mert wird diesen Blick wieder brauchen. Der Australier, gegen den er kämpfen soll, ist halb so alt wie er. Es kommen viele Australier nach Phuket, die meisten zum Feiern, einige zum Trainieren und manche, um Wettkämpfe zu machen. Wenn Australier antreten, ist das Bangla Boxing Stadium gut gefüllt und die Atmosphäre aufgeheizt.
Mert gilt seit seinen ersten Kämpfen als Lokalmatador. Sein Bild wird groß in der Mitte des Plakates abgebildet, nur sein Vorname steht darunter und der Zusatz »German Champion Boxing«. Die Plakate hängen überall in Patong und kleben an den Transportern, die mit Lautsprechern auf dem Dach durch die Gegend fahren, um Werbung zu machen. »See the best of the best«, schreit es aus den Lautsprechern, »see the real champions.« Eine Lüge, wie die Begeisterung der Thai-Mädchen für ihre Kundschaft. Aber eine Lüge, die Mert gefällt.
Mert bestellt sein fünftes Bier. Die Mädchen sind beschäftigt, die Mamasan läuft hin und her. Sie erklärt, dass es kein Singha mehr gibt, und kontrolliert, dass sie nicht übers Ohr gehauen wird. Im Vorbeilaufen stellt sie Mert noch ein sechstes Bier hin. Mert nimmt zwei große Schlucke, dann ist er betrunken genug, um ins Bett zu gehen. Er legt fünfhundert Baht auf den Tresen und bekommt neunhundert zurück. Die Mamasan hat es mit den tausend verrechnet, die Mert vorhin für die Lokalrunde hingelegt hat. Manchmal zahlt er hundert Baht für ein Bier, manchmal hundertfünfzig. Sie hat ihm ihr besonderes Abrechnungssystem nie erklärt, aber Mert zahlt am Ende weniger, als er ihr nach der Preisliste schuldet, also gibt es keinen Grund nachzufragen.
Mert drückt sich vorbei an den Menschen, die vor den großen Tanzshows stehen bleiben. Betrunken sieht es hier sogar ganz unterhaltsam aus. Die Schäbigkeit der Etablissements verschwindet im Schatten der leuchtenden und blinkenden Lichter. So wie die Reeperbahn, die samstagnachts glitzert und sonntags bei Sonnenaufgang einer grauen Müllkippe ähnelt. An der Querstraße stehen Hunderte Mopeds schräg geparkt, die alle gleich aussehen. Merts Motorrad sticht heraus, weil der Lenker höher sitzt. Ali hatte die Honda 250 NX eine Woche nach ihrer Ankunft angeschafft. Er war der Meinung, für knapp hundertfünfzig Kilo Menschenfleisch bräuchten sie ein stärkeres Transportmittel als einen Roller, wie man sie bei den Verleihern bekam. Also kauften sie die Enduro-Maschine. Zuerst saß Mert immer hinten drauf. In den Wochen vor seiner Abreise brachte Ali ihm bei, zu schalten und Gas- und Bremshebel zu bedienen. Sie wechselten sich beim Fahren ab, aber Ali saß nicht gerne hinten.
Die offenen Teile der Maschine sind schon ziemlich angerostet, eine Seitenabdeckung fehlt, aber Mert liebt das Fahren. Er fühlt sich verbunden mit allem, wenn er im T-Shirt auf dem Motorrad dahinrast, den Wind spürt, die Temperatur, den feinen Regen, keine Grenze mehr zwischen ihm und dem Universum.
Wenn er aus Patong zu seinem Apartment rausfährt, kennt er jede Kurve und jedes Loch in der Straße. So schafft Mert es nach sechs Chang-Bier ohne Schlingern nach Hause. Erst als er das Motorrad aufbockt, muss er seine Bewegungen koordinieren. Der Hund, der vor dem Aufgang zu seiner Wohnung auf der Straße liegt, hebt den Kopf und beobachtet ihn. Offenbar fühlt er sich adoptiert. Mert braucht ein bisschen, um den Schlüssel ins Schloss zu bekommen. Das Schloss ist klein und der Blechschlüssel so abgeschabt, dass der Schlüsselbart nur noch Rundungen zeigt. Der Hund steht neben ihm, sieht, wie er an der Tür rüttelt, um die richtige Position zu finden, in der der Schlüssel greift. Mert will den Hund mit einem Fußtritt verscheuchen, merkt aber gleich, dass seiner Aktion die Entschlossenheit fehlt.
Er zieht die Tür auf, geht leicht schnaufend die kurze Treppe hoch und schiebt die obere Tür auf, die er nie absperrt. In der Wohnung empfängt ihn drückende Hitze. Mert zieht sich aus,
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