Schlag weiter, Herz
man ja alles.«
Nadja lachte. Besonders fröhlich wirkte sie dabei nicht. Mert wurde unruhig.
»Keine Sorge, ich denke, das kann man immer noch machen«, sagte sie.
»Wie würdest du es denn machen?«
»So schwer ist das nicht. Zehn Milligramm Pentobarbital, eine kleine Dosis Embutramid. Du schläfst ein und wachst nicht mehr auf. Keine Angst mehr.«
»Wenn ich mal abtrete, dann mit einem Knall!«
»Was für ein Knall?«
»Was Großes. Zumindest springe ich von einem Wolkenkratzer in New York, um zu wissen, wie das ist.«
»Dann knallst du unten auf dem Boden auf einen glücklichen Menschen, der gerade auf dem Weg zur Arbeit ist oder nach Hause zu seinen Kindern, und bringst ihn mit um.«
»Stimmt. Vielleicht keine gute Idee.«
»Ich will verschwinden, ohne dass es jemand mitbekommt, das würde mir genügen.«
»Ich würde es mitbekommen. Felix auch. Und es würde uns nicht gefallen.«
»Stimmt.« Nadja versuchte ein Lächeln.
Doch nun war Mert verstört.
»Hast du denn was vor?«
»Nein«, sagte Nadja, »wenn ich was vorhätte, würde ich es dir bestimmt nicht vorher erzählen.«
»Das soll mich beruhigen?«
»Es war eine theoretische Frage. Nein, keine Sorge. Es ging nur um die Angst. Und dass ich nicht glaube, dass die weggeht.«
Mert drückte sich tiefer ins Kissen, damit Nadjas Kopf auf seiner Schulter liegen konnte, ohne dass sie den Nacken verdrehen musste. Er strich ihr übers Ohr, durch die Haare.
»Tut mir leid«, sagte er schließlich.
»Warum?«
»Du kannst doch nicht immer Angst haben.«
»Das kann man sich doch nicht aussuchen. Was soll man gegen Angst schon unternehmen?«
»Reingehen, in die Angst.«
»Wie ein Boxer?«
»Ja, wie ein Boxer.«
»Das hab ich schon öfter gehört.«
17
Mert setzt sich auf sein Motorrad und fährt zum Training. Noks Gym liegt keine zehn Minuten von seiner Wohnung entfernt, an der Zufahrtsstraße nach Patong. Vor dem Ring baumelt eine Reihe von Sandsäcken an einer Stahlstange. Die Säcke sind länger als die zu Hause in Hamburg. Sie reichen bis zum Boden, um Kicks zu üben. Dazu gibt es ein paar Hantelstangen, Gewichte, Springseile. Neben dem Ring liegt eine dünne Weichbodenmatte vor einem großen Spiegel, vor dem die Kämpfer schattenboxen oder ihren Muskeltonus begutachten.
Über dem Spiegel hängt ein Poster, das Nok als jungen Landesmeister zeigt, mit einem Blumenkranz um die Schultern und einem funkelnden Gürtel um die Hüften. Urkunden und Zeitungsausschnitte zieren die Rückwand seines Büros.
Die ganze Anlage ist mit einem riesigen Blechdach auf vier Stelzen vor den täglichen Regengüssen geschützt. Wenn der Regen allerdings seitlich reinpeitscht, kann es passieren, dass man beim Training ausrutscht.
Vor ein paar Tagen war Nok ins »Tiger Gym« nach Chalong gefahren, unter dem Vorwand, einen alten Kampfkollegen zu besuchen. Nok hatte den jungen Australier beobachtet und Mert anschließend vorgeführt, wie dieser boxt und tritt. Groß und schnell scheint er zu sein. Viele Kicks, wenig Schläge. Stark, aber unkontrolliert. Mert wird in den ersten Runden nicht viel tun, um seinen Gegner dadurch zu noch mehr Aktivität zu verleiten. Junge Kämpfer pumpen sich häufig schnell aus. Dann wird Mert seine Lücken suchen. Über die Jahre hat Mert an Geschwindigkeit und Dynamik verloren, aber er kann sich die Kampfdistanz gut einteilen und macht keine unnötigen Bewegungen mehr. Und selbst an einem schlechten Abend kann er noch hauen wie ein Pferd.
Die Buchmacher lieben Mert, weil es zu Beginn seiner Kämpfe so aussieht, als würde er verlieren. Nach einem Sieg stecken sie ihm ein paar Hundert Baht in den Hosenbund, was Mert an die Mädchen in der Sunshine Bar erinnert. Wenn er verliert, tätscheln die Buchmacher ihm die Schulter.
Mert braucht mehr Erholungszeit, um sich am Kampfabend frisch zu fühlen. Anstatt jeden Tag zu laufen, geht er manchmal schwimmen. Er schwimmt so weit hinaus, bis er unter Wasser seinen Schweiß spürt, bis er nach Luft japst und seine Schultern brennen. Dann wendet er und schwimmt zurück.
Er kann seine Gegner nicht mehr überrennen, muss mit Erfahrung und Auge arbeiten. Im Training beschränkt er sich auf die Abläufe, die ihm liegen. Nok hat es aufgegeben, seinem Schützling noch etwas beibringen zu wollen. Mert verlässt sich auf seine überlegene Schlagtechnik und die wenigen Tritte, die er intuitiv und schnell beherrscht. Er macht keine Drehkicks, weil er dabei die Balance verliert. Also trainiert Nok keine
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