Schlag weiter, Herz
für sie ein Abenteuer darstellte, in jeder Hinsicht. Zum bevorstehenden Betrug kam für sie die Aufregung dazu, sich mit einem Mann einzulassen, der nicht aus ihrer Welt kam. Er kannte diese Begeisterung von einer Reporterin der »Hamburger Morgenpost«, die nach dem Gewinn des Hanse-Pokals ein Interview mit ihm geführt und direkt im Anschluss mit ihm geschlafen hatte, erregt und besorgt, dass ihr Freund gleich nach Hause kommen würde.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Constanze.
»Keine Ahnung«, antwortete Mert. Er ging die Optionen durch. Sie konnten weder zu ihr noch zu ihm gehen, und für ein Hotelzimmer hatte Mert kein Geld. Um Zeit zu gewinnen, zogen sie über den Kiez. Sie gerieten in einen Laden, in dem elektronische Musik gespielt wurde und außer ihnen nur Schwule feierten und tanzten. Als sie in Richtung Hafen spazierten, ging die Sonne auf.
Mert drückte Constanze in einen Hauseingang. Sie küssten sich, und er machte sich unter ihrer Bluse an ihrem BH zu schaffen. Als er ihr den Rock hochschieben wollte, blockierte sie seine Hand.
»Was soll das denn werden? Das ist mir echt zu asozial.« Nachdem sie sich zwei Stunden lang aufgeheizt hatten, schwand alle Geilheit in einem Augenblick. Constanze wurde nüchtern.
»Ich muss langsam mal nach Hause.«
Mert begleitete sie zur Reeperbahn, wo er ihr ein Taxi anhielt.
»Ein anderes Mal«, sagte Constanze, doch auf der breiten Straße, im Licht des neuen Tages, gab sie ihm keinen Kuss mehr.
»Ich weiß ja, wo ich dich finde.«
Mert drückte die Taxitür hinter ihr zu und überquerte die Reeperbahn, um nach Hause zu gehen. Die Morgensonne blendete ihn, aber sie wärmte nicht.
23
Die Mamasan untersucht Merts Narbe auf seiner Stirn. Die Mädchen stehen um sie herum. Es ist noch nicht viel los in der Sunshine Bar, Merts Anwesenheit sorgt für Zerstreuung. Er ist ein geduldiges Studienobjekt, es stört ihn nicht, wenn man auf ihm herumdrückt. Er hat die Verschleißerscheinungen seines Körpers immer ignoriert. Die Narben machen Mert nichts aus, er betrachtet sie als Schweißnähte einer Kampfmaschine. Nichts, was er gewollt hat. Nichts, was sich verhindern ließ. Die frische Narbe aus dem Kampf gegen Woodcomb glänzt außen gelb und blau, an der Naht rot. Die schwarzen Fäden sehen organisch aus, wie Fühler, die ihm aus dem Kopf wachsen.
Nach seinem Sieg musste Mert in der Umkleide mit sieben Stichen genäht werden. Es waren keine feinen Stiche, aber der Arzt hatte Gummihandschuhe angezogen und die Wunde desinfiziert, bevor er zu nähen begann. Dieses Vorgehen erschien Mert umsichtig genug. In den darauffolgenden Nächten fand Mert keine Position, in der er durchschlafen konnte. Egal wie er lag, irgendetwas tat ihm immer weh. Doch wenn er aufwachte, gab der Schmerz ihm Befriedigung. Ein wenig Trauer schwang mit in dieser Phase, weil der Berg zwar erklommen war, doch dahinter nur ein höherer aufragte. Er brauchte noch einen großen Kampf im Lumpini Stadium, um sich abzusichern. Sein Bild mit einem funkelnden Gürtel um die Hüften.
Zwei Tage verbrachte er in seiner Wohnung und am Strand. Er wartete, bis die Verkrampfung nachließ, die Knochen nicht mehr knirschten und die Kraft allmählich zurückkehrte. Er aß, er schaute Filme, er trank Bier, er schlief. Am dritten Tag ging er zur Massage, um die verhärteten Stellen weich kneten zu lassen. Die Masseurin schlug die Hände vors Gesicht, so zerstört sah er aus, mit seiner Stirnnarbe und den Veilchen. Ein riesiger Pferdekuss prangte auf dem rechten Oberschenkel, er hatte blaue Flecken im Rippenbereich, auf den Armen und dem Rücken. Wie nach einem Verkehrsunfall.
»Schmerz ist Schwäche, die den Körper verlässt«, stand damals auf einem der Schilder beim BC Einigkeit. Mert hatte sich den Schmerz irgendwann zum Freund gemacht, ihn lieb gewonnen. Er war der Beweis dafür, etwas geleistet zu haben. Wer den Schmerz als Feind sah, machte ihn nur größer.
Nach der Massage wollte Mert wieder am Leben teilhaben. Er brauchte etwas Gesellschaft, Freundlichkeit, ein wenig Anteilnahme. Er setzte sich auf sein Motorrad, fuhr zur Bangla Road, aß gebratenen Reis mit Hühnchen in einer Straßenküche und drängelte sich bis zur Sunshine Bar durch.
Mert macht den Mädchen vor, wie Woodcombs rechter Ellbogen seine Deckung geteilt und die Haut aufgerissen hat. Die Mamasan gibt ihm ein Bier aus, so begeistert ist sie von seinem Sieg. Außerdem gibt es Singha, die Welt ist wieder in Ordnung.
»No beer crisis?«,
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