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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davic Pfeifer
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auch ein Wunder für möglich halten.
    Als Mert zum Ring lief, blickte er automatisch in die Reihe, in der er Nadja vermutete, doch sie sah in die andere Richtung. Er lief an ihrer Stuhlreihe vorbei, nur wenige Zentimeter von ihren Fußspitzen entfernt, um in den Ring zu gelangen, aber sie schien in ein Gespräch mit ihrem Freund vertieft zu sein. Ob sie Mert registriert hatte, war nicht zu erkennen.
    Erst jetzt, als Mert sie wiedersah, wurde ihm mit aller Wucht klar, wie sehr er sie vermisst hatte. Er kannte jede Nuance ihrer Körperhaltung. Er wusste, wie sie riechen würde, wenn er noch einen Zentimeter näher gekommen wäre. Er kannte ihre Gesten. Wenn ihr eine Situation unangenehm war, nickte sie mechanisch mit dem Kopf und knetete dabei ihre Hände, so wie jetzt. Natürlich hatte sie ihn gesehen. Sie hatte ihn gesehen und nickte zu dem, was ihr Freund sagte, als habe sich die Mechanik in ihrem Nacken verhakt. Dieses Gefühl nahm Mert die Luft, noch bevor er durch die Ringseile gestiegen war.
    Der Gong ertönte. Mert kam so entschlossen aus seiner Ecke wie immer. In der Mitte des Rings erwartete ihn eine harte Links-rechts-Kombination von Felix. Mert spürte die Wirkung, versuchte zur Seite auszuweichen, den Kopf klar zu bekommen. Doch Felix ging nicht zurück, griff mit einer langen Serie an, von der die meisten Schläge in Merts Deckung stecken blieben, nur ein Aufwärtshaken und die abschließende Linke trafen. Die Kombination warf Mert fast um, er konnte sich erst nach zwei Rückschritten fangen. Ein vielstimmiges Gemurmel wurde in der Halle laut.
    Mert sprang nach vorne, versuchte mit Seitwärtshaken an Felix’ Kinn zu treffen, aber der lehnte sich nach hinten, Merts Schläge flogen ins Leere. Mert setzte noch zweimal zum Körper nach, und beim zweiten Treffer konnte er hören, wie die Luft aus Felix’ Lunge gepresst wurde. Felix bewegte sich nicht in die Distanz, um Mert auszupunkten, er schritt weiter auf ihn zu und drängte ihn mit steifen Geraden zurück. Mert musste sonst nie zurückweichen. Mert hörte Alis Rufe. Auch Gersch schrie. Er konnte sie nicht verstehen. Felix startete eine weitere Kombination, und Mert konterte ungeachtet der Treffer, die er dabei nahm. Er feuerte zurück, in Felix’ Schlagserie hinein. Das Einzige, was Mert denken konnte, war: Der will mir wehtun.
    Felix hatte keinen schlechten Tag, und Mert keinen guten. Weder lag es an den Jahren, die beide schon im Ring verbracht, noch an den Fehlern, die sie außerhalb gemacht hatten. Es lag nicht am Trainingsrückstand oder an der Motivation, dass die Boxkarriere des jungen Borau an diesem Abend ruhmlos endete. Es lag an Nadja. Felix war wütend. Er wollte Mert nicht besiegen, sondern kleinmachen. Felix schlug hart, bis er nicht mehr schlagen konnte. War er erschöpft, wich er nur im Oberkörper zurück, um der Gegenattacke die Wucht zu nehmen. Dann legte er wieder nach. Er traf Mert mit Geraden, mit Seitwärtshaken, mit Aufwärtshaken. Doch Mert nahm diese Schläge hin wie eine verdiente Strafe. Er tat Buße. Felix bemerkte nicht, dass er sich immer weiter auf Merts Gebiet begab.
    Jede Aktion brannte sich den Zuschauern als verlangsamter Augenblick ein. Alle spürten, dass sich hier etwas Außerordentliches zutrug. Niemand sah sich in der Halle um, keiner drehte den Kopf zum Nebenmann, es gab keine Zwischenrufe, niemand blinzelte. Keiner wollte etwas verpassen.
    Der Kampf dauerte nicht mal eine ganze Runde. Als Felix zum zehnten Mal an Mert heranstürmte und eine Serie losließ, schlug Mert von Beginn an mit. Sie tauschten in drei Sekunden sechzehn Schläge aus, von denen keiner sein Ziel verfehlte. Felix traf neunmal, Mert erzielte sieben Treffer.
    Es gibt nur eine begrenzte Zahl von harten Treffern, die ein Boxer in Folge einstecken kann. Wie viel einer verträgt, ist eine Fähigkeit, keine Qualität, man kann es nicht trainieren. Die Grenzen sind schnell erreicht, wenn keine Meidbewegung und keine Deckung den Schlägen die Wucht nehmen.
    Der Ringrichter stürzte sich in den Schlaghagel, sobald er begriffen hatte, dass beide Kämpfer außer Kontrolle waren. Doch da fiel Felix bereits. Mert stolperte seinem rechten Haken hinterher und ging beinahe selbst zu Boden, hielt sich aber am Ringseil fest und rannte in die neutrale Ecke. Felix lag flach auf dem Rücken, die Arme ausgestreckt wie eine Jesusfigur, sein linkes Bein zuckte. Er wurde nicht angezählt. Der Ringrichter beugte sich über ihn und zog ihm den Mundschutz raus.
    Mert

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