Schlagmann
sollte. Das Geld vorstrecken? Der Chef sagte, ein paar Häuser weiter gebe es einen Geldautomaten. Falls ich nicht zahlen könne, müsse das Auto eben bis mindestens Montag in der Garage bleiben. »Und zwar so, dass niemand drankommt, auch du und dein Freund nicht«, sagte er.
»Das ist dann eben sein Problem«, fand Katja, die damals schon viel zu sagen hatte, obwohl wir noch nicht verheiratet waren.
Ich hatte ein bisschen mehr Bargeld als üblich in meiner Tasche, und beschloss, die Rechnung trotz Katjas Veto zu bezahlen. Auf keinen Fall wollte ich noch einmal wiederkommen. Ich blätterte dem Chef die Scheine hin, erhielt den Schlüssel, fuhr mit dem schwarzen Monster zu Arne, meine Freundin in meinem Auto hinter mir her. Weil Freitagnachmittag war, fand ich nur schwer einen Parkplatz, ich musste das Auto ein paar Hundert Meter entfernt in eine Kurve quetschen. Katja hupte. Sie verstand nicht, warum ich mich so für Arne einsetzte. Bei der Abfahrt hatte sie mich gefragt, was dieser sogenannte Freundeigentlich jemals für mich getan hatte. Ich sagte nichts. Sie versteht den Sport nicht. Aber wahrscheinlich hatte sie recht. Er hat nichts für mich getan. Er tat alles für sich. Wir profitierten von seinem Egoismus. Das ändert aber nichts daran, dass er uns zu Champions gemacht hat.
Als ich bei Arne klingelte, machte keiner auf.
Katja, die langsam herangerollt war, hupte wieder. Wir wollten etwas essen und dann ins Kino. Sie kurbelte die Scheibe herunter und rief: »Na komm schon. Vergiss den Typ doch mal.«
»Und mein Geld?«
»Ruf ihn an!«
Weil ich ohnehin keine Wahl hatte, warf ich den Schlüssel in den Briefkasten und stieg ein. Ich hatte ein komisches Gefühl, aber dann dachte ich, Arne lässt mich ganz bestimmt nicht hängen. Es war wirklich eine blöde Geschichte. Ich erreichte ihn fast zwei Wochen lang nicht. Und als er schließlich doch abnahm, gab er keine Erklärung dafür ab.
Ich sagte:
»Arne, du schuldest mir 200 Mark. Und dazu einen Gefallen.«
»Wieso?«
»Ich habe dein Auto abgeholt und für dich die Reparatur bezahlt. Und du warst nicht zu Hause. Findest du das o.k.?«
Er schwieg ein paar Sekunden.
»Das Auto ist noch nicht verkauft. Das Ganze war eine Fehlinvestition.«
Ich war verblüfft. »Wie meinst du das, eine Fehlinvestition? Wessen Fehlinvestition? Meine?«
Wieder ein paar Sekunden Stille. Dann sagte er:
»Ja. Deine.«
»Das verstehe ich nicht. Erklär mir das bitte.«
»Es geht nach dem Verursacherprinzip. Du hast das Auto zur Werkstatt gebracht und wieder abgeholt. Nur du konntest das tun. Ich habe ja keinen Führerschein. Also war es dein Risiko und nicht meins. Und ich schulde dir nichts.«
»Wie bitte? Wessen Auto ist das denn nun: deins oder meins?«
»Die Reparatur ist nicht gut gemacht«, sagte Arne. »Die Kupplung hängt immer noch etwas.«
Ich ballte unwillkürlich eine Faust, kämpfte aber meine Empörung nieder. Wieso eigentlich? Wieso beherrschte ich mich?
»Arne«, sagte ich. »Hör mir zu. Du kannst doch unsere Freundschaft nicht wegen 200 Mark aufs Spiel setzen.«
Er gab einen bitteren Laut von sich, so etwas zwischen Lachen und Seufzen.
»Wenn ich das recht sehe«, sagte er, »tust du das gerade. Du bist es, der unsere Freundschaft für 200 Mark aufs Spiel setzt.«
Vor lauter Verblüffung wusste ich nicht, was ich erwidern sollte. Ich wollte nicht aggressiv werden. Und ich fand so schnell kein Argument mehr für das Naheliegende. Aber einfach so einlenken?
»Aber wenn du das Auto verkaufst, will ich mein Geld zurück.«
Arne atmete laut in den Hörer.
»Von mir aus. Du kannst ja dann mit dem Käufer reden.«
ANJA,
Zusammenfassung einer Tonbandaufzeichnung, Montag, 6. Oktober 2008
Es dauerte viel zu lange, bis ich das Offensichtliche erkannte: dass Arne hungerte. Das lag auch daran, dass die Abstände zwischen unseren Begegnungen immer länger wurden. Unsere Verbindung verlor weiter an Kraft, und ich ließ es geschehen. Ich fühlte, wie mein Stolz zurückkam und war erleichtert darüber. Es war Zeit, über meine Zukunft nachzudenken mit meinen 28 Jahren. Ich wollte endlich die Rolle meines Lebens übernehmen. Vielleicht Kinder kriegen. Wollte ich? Mit Arne nicht. Schön wären sie sicherlich geworden, unsere Kinder. Aber als Vater konnte ich ihn mir nicht vorstellen.
Um das wahre Ausmaß von Arnes Schwierigkeiten zu erkennen, fehlte mir die Vorstellungskraft. Dass ein Mensch sich weigert zu essen, kannte ich nur aus meiner Mädchenzeit. In
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