Schlamm, Schweiß und Tränen
verschiedene Paar Schuhe; außerdem war ich
mir sehr wohl der Tatsache bewusst, dass ich nicht der erste Mensch
auf der Welt war, der dieses Dilemma zu spüren bekam.
Meine Entscheidung, den Mount Everest zu besteigen, hatte
durchaus etwas von einer Alles-oder-nichts-Mission.
Denn falls ich es schaffen würde, den Gipfel zu besteigen, wäre ich
nicht nur der jüngste Bergsteiger, der je den Gipfel erklommen hat, sondern ich hätte außerdem zumindest eine faire Chance, hinterher
irgendeinen Job im Zusammenhang mit dieser Expedition an Land
zu ziehen - entweder könnte ich Vorträge halten oder als Bergführer
arbeiten.
Ich hätte auch die Möglichkeit, meine Gipfelbesteigung quasi als
Sprungbrett zu nutzen, um Sponsoren für andere Expeditionen zu gewinnen.
Falls ich es aber doch nicht schaffen und scheitern würde, würde
ich entweder dort oben auf dem Berg sterben oder müsste bankrott -
ohne Aussichten auf irgendeinen Job und ohne irgendwelche Qualifikationen - nach Hause zurückkehren.
Angesichts dieser Optionen fiel mir die Entscheidung allerdings
nicht wirklich schwer.
Denn mein Bauchgefühl signalisierte mir ganz eindeutig, dass
dies die richtige Entscheidung war - es zu wagen.
Außerdem kam mir zugute, dass ich noch nie zu der Sorte Menschen gehört habe, die große Angst davor haben, am Ende wie ein alter Prahlhans dazustehen, der den Mund zu voll genommen hat - ich
hatte noch nie Angst davor zu scheitern.
Denn ich bin nie geklettert, weil ich wollte, dass die Leute mich
bewundern; ich bin immer nur geklettert, weil ich das halbwegs gut
konnte - und jetzt stand mir durch die Besteigung des Mount Everest
der Weg offen, dieses Talent weiter auszuschöpfen.
Und für den Fall, dass ich scheitern sollte - so dachte ich bei mir -,
dann scheitere ich zumindest bei dem Versuch, etwas Großes und
Kühnes gewagt zu haben. Dieser Gedanke gefiel mir.
Darüber hinaus könnte ich - sofern das möglich wäre - meinen
Universitätsabschluss nachholen, und zwar indem ich noch während
der Expedition ein Teilzeit-Studium beginne (das könnte ich vom
Mount Everest aus über E-Mail bewerkstelligen). Am Ende der Expedition - ganz gleich, wie die Sache auf dem Berg ausgeht - hätte ich
auf diese Weise zumindest die Möglichkeit, mich noch einmal beim
MI 5 zu bewerben. (Manchmal ist es durchaus von Vorteil, wenn man
nicht gleich alle Brücken hinter sich abbricht.)
Das Leben ist schon eigenartig.
Man konzentriert sich auf eine Sache, fängt damit an, bestimmte
Informationen in den Äther hinauszuschicken und ganz oft passiert
es dann, dass sich die Dinge still und heimlich irgendwie zum eigenen
Vorteil zusammenfügen. Diese Beobachtung konnte ich schon bei so
mancher Gelegenheit machen.
Denn ich hatte immerhin erst vor einem knappen Monat damit
angefangen, diverse Unternehmen anzuschreiben und als Sponsoren
für eine Everest-Expedition zu gewinnen (obwohl ich nicht die leiseste
Ahnung hatte, wie ich es anstellen musste, damit ich überhaupt an
einer Everest-Expedition teilnehmen konnte), als ich erfuhr, dass ein
ehemaliger Kamerad vom Militär gerade im Begriff war, ein neues
britisches Expeditionsteam zusammenzustellen, um den Gipfel über
den Südostgrat zu besteigen.
Es war Hauptmann Neil Laughton. Ich war ihm bereits bei verschiedenen Gelegenheiten begegnet, allerdings kannte ich ihn nicht
sehr gut. Er war ein ehemaliger Offizier der Royal Marines, extrem
zäh, entschlossen und - wie ich später noch erfahren sollte - einer der
ehrgeizigsten Menschen, die ich je kennengelernt habe.
Neil hatte es zwei Jahre zuvor geschafft, relativ nah an den Gipfel
des Mount Everest heranzukommen - doch in jenem Jahr tobte in
großer Höhe ein schwerer Schneesturm auf dem Berg, der in nur 24
Stunden das Leben von acht Bergsteigern gefordert hatte. Obwohl
Neil die allzu offenkundigen Risiken oben am Berg am eigenen Leib
miterlebt und auch mit angesehen hatte, wie viele Todesopfer dieser
Berg gefordert hatte, war er trotz allem fest entschlossen, noch einmal
einen Besteigungsversuch zu wagen.
Es ist für viele Menschen sehr schwer nachvollziehbar, dass eine
so große Faszination von einem Berg ausgehen kann, dass Männer
und Frauen dazu bereit sind, ihr Leben in seinen mit Schnee und Eis
bedeckten Steilwänden zu riskieren - und das alles nur für die Chance, jenen einzigartigen, einsamen Augenblick hoch oben auf dem
Gipfel erleben zu dürfen. Das lässt sich auch nur sehr schwer
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