Schlamm, Schweiß und Tränen
darauffolgenden Woche forderte der Berg drei weitere Todesopfer.
Aber es waren nicht nur Bergsteiger-Anfänger, die dort oben ihr
Leben ließen.
Rob Hall - einer der weltweit angesehensten und erfahrensten
Bergführer - war ebenfalls unter den Todesopfern. Bei dem Versuch,
einen geschwächten Bergsteiger zu retten, ging ihm in großer Höhe
der Sauerstoff aus. Doch extremer Sauerstoffmangel, große Erschöpfung und eisige Kälte sind eine tödliche Kombination - Rob brach
zusammen.
Doch irgendwie schaffte er es, die Nacht oben am Berg in eisiger
Kälte zu überstehen.
Rob überlebte die Nacht in über 8.700 Metern Höhe bei Temperaturen um minus 50 Grad Celsius. Am nächsten Morgen sprach er
dann über sein Funkgerät mit seiner Frau Jan; im Basislager hatte
man für dieses Gespräch eine Verbindung über Satellitentelefon hergestellt.
Seine Frau war schwanger und erwartete ihr erstes gemeinsames
Kind. Alle im Lager hoch oben auf dem Berg saßen regungslos da, als
er zu ihr sagte: „Ich liebe Dich. Schlaf gut, mein Schatz. Bitte mach
Dir nicht allzu viele Sorgen."
Dies waren seine letzten Worte, bevor er starb.
Die warnende Lehre aus diesem tragischen Ereignis war mehr als
deutlich: Begegne dem Berg stets mit Ehrfurcht und Respekt und unterschätze nie, welche Gefahren von dieser Höhe und von Wetterumschwüngen ausgehen können - selbst für die stärksten und erfahrensten Bergsteiger. Außerdem sollte man die Natur nie herausfordern und
sich stets bewusst machen, dass man sich - wenn man einen so hohen
Berg wie den Mount Everest besteigen will - für kein Geld der Welt
eine Überlebensgarantie kaufen kann und am allerwenigsten eine Garantie, dass man das Ganze unbeschadet und unverletzt übersteht.
Seitdem wir damals den Everest bestiegen haben, ist der „höchste
Berg der Erde" in der Zwischenzeit auch von vielen anderen Bergsteigern erfolgreich erklommen worden. Mittlerweile ist er sogar von einem Blinden, einem Mann mit einer Beinprothese und sogar von einem jungen nepalesischen Teenager bestiegen worden.
Doch deshalb darf man die Gefahr keinesfalls unterschätzen. Ich
habe die Gefahr, die von diesem Berg ausgeht, nie verharmlost, denn
er ist heute noch genauso hoch und genauso gefährlich wie damals.
Vielmehr hege ich große Bewunderung für all jene Bergsteiger, die den
Gipfel dieses Berges - egal wie - erstiegen haben. Schließlich weiß ich
selbst nur allzu gut, was es heißt, den Mount Everest zu besteigen.
Wir Menschen lernen mit der Zeit, wie wir diese Höhe beherrschen und den Berg bezwingen können. Das liegt in unserer Natur.
Aber der Berg bleibt immer derselbe - manchmal jedoch wendet er
sich gegen uns und schlägt dann mit so erbarmungsloser Härte zu,
dass wir alle voller Furcht zurückweichen.
Zunächst einmal.
Dann kommen wir wieder. Wie die Geier. Allerdings sind nicht
wir es, die hier oben das Sagen haben.
Genau das ist auch der Grund dafür, warum man in Nepal den
Mount Everest als die „Göttin des Himmels" bezeichnet - auf dass
wir dies niemals vergessen mögen.
In diesem Namen spiegelt sich der ehrfurchtsvolle Respekt wider,
den die Nepalesen diesem Berg entgegenbringen, und dem Berg mit
diesem ehrfurchtsvollen Respekt zu begegnen ist das Beste, was man
als Bergsteiger lernen kann. Denn wir besteigen den Berg nur, weil
der Berg es uns gestattet.
Wenn der Gipfel einem ein Zeichen gibt, dass man „warten" soll,
dann muss man auch warten; und wenn er einen auffordert aufzusteigen, dann muss man in der dünnen Luft seine ganze Kraft aufbieten
und alle Anstrengungen und Strapazen auf sich nehmen, um sich
zum Gipfel hinaufzukämpfen.
Die Wetterverhältnisse können sich innerhalb weniger Minuten
schlagartig ändern, wenn sich der Gipfel in Wolken hüllt, denn die
Spitze des Gipfels ragt mitten hinein in den südwestlichen Jetstream
- in jene Starkwindbänder, die in über 8.000 Metern Höhe die Erde
umkreisen und Geschwindigkeiten von über 240 Stundenkilometern
erreichen. Denn diese Höhenwinde sind verantwortlich für die majestätisch wirkenden, aber extrem gefährlichen Schleier aus feinem
Schnee, die unablässig vom Gipfel des Mount Everest hinunterwehen.
Auf diese Weise wird man permanent daran erinnert, dass man
dem Berg stets mit Ehrfurcht und Respekt begegnen sollte.
Anderenfalls spielt man mit seinem Leben.
Doch in der jetzigen Phase meines Vorhabens konnte ich - selbst mit dem allerstärksten Willen der Welt -
Weitere Kostenlose Bücher