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Schlamm, Schweiß und Tränen

Schlamm, Schweiß und Tränen

Titel: Schlamm, Schweiß und Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bear Grylls
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Ungewöhnliches.
    „Unwetterwarnung: Südlich vom Everest zieht ein tropischer Wirbelsturm auf; dieser Zyklon wird sehr wahrscheinlich zum Taifun
werden und Orkanstärke erreichen, sobald er auf den Berg trifft."
    Der Taifun sollte schon in zwei Tagen den Everest erreichen - also
blieb den Jungs dort oben nicht gerade viel Zeit.
    Denn dann hätten sie nicht nur mit extrem hohen Windgeschwindigkeiten zu kämpfen, sondern der Taifun könnte auch innerhalb nur
weniger Stunden bis zu eineinhalb Meter Neuschnee abladen. Jeder,
der sich dann noch oben auf dem Berg befindet, wäre - in Henrys
Worten - „so gut wie verloren".
    An jenem Nachmittag bin ich zu Henry gegangen, weil ich ihm
einen Vorschlag machen wollte.
    Michael und Graham ging es noch immer ziemlich schlecht. Ich
dagegen fühlte mich schon fast wieder fit.
    „Könnten Geoffrey und ich denn nicht schon mal zu Lager 2 aufsteigen, damit wir uns dort oben zum Gipfelanstieg bereithalten können, falls der Taifun vielleicht doch abdreht?
    Es war zwar ein riskantes Unterfangen - sogar ein sehr riskantes -,
aber wie hat schon der berühmte Profigolfer Jack Nicklaus gesagt: „Never up, never in" - das heißt, wenn man nicht einen kraftvollen,
langen Putt spielt, hat man kaum eine Chance, den Ball überhaupt
einzulochen.

    Denn so viel war sicher: Wenn ich hier unten im Basislager noch
länger herumsitzen und Däumchen drehen würde, hätte ich nie im
Leben auch nur den Hauch einer Chance, den Gipfel zu besteigen.
    Außerdem könnte ich von Lager 2 aus über Funk eine Vermittlerfunktion zwischen dem Basislager (wo Henry war) und der ersten
Gipfeltruppe weiter oben am Berg übernehmen.
    Das war letztlich der ausschlaggebende Faktor.
    Henry wusste, dass Michael und Graham in absehbarer Zeit wohl
nicht wieder auf die Füße kommen würden. Er hatte Verständnis für
meinen Ehrgeiz, denn er erkannte, dass in mir dieselbe Leidenschaft
brannte wie auch damals in ihm, als er noch ein junger Bursche war.
    Sein persönlicher Leitsatz als Bergsteiger lautete: „99 Prozent Vorsicht; 1 Prozent Wagemut."
    Doch genau zu wissen, wann man dieses eine Prozent einsetzen
muss, das ist die eigentliche Kunst beim Bergsteigen.
    Ich unterdrückte meinen Husten und verließ sein Zelt mit einem
Grinsen auf den Lippen.
    Lager 2, ich komme.

     

Geoffrey und ich durchstiegen zügig den Eisbruch
bis hinauf zur Abbruchkante der Steilstufe. Ich klinkte den Karabiner
meines Expresssets in das letzte Fixseil ein, das uns jetzt noch von Lager eins trennte. Es war 7:20 Uhr am Morgen.
    Der weitere Aufstieg zu Lager 2 durch das Gletschertal des Western Cwm nahm die meiste Zeit in Anspruch, bis wir schließlich um
15:30 Uhr dort ankamen.
    Ich fühlte mich total erschöpft und mir war schwindlig.
    Schließlich fällt das Klettern extrem schwer, wenn man nicht hundertprozentig fit ist und noch dazu in dieser großen Höhe; aber ich
hatte nicht vor, irgendjemandem zu erzählen, wie mies ich mich fühlte. Denn es stand jetzt einfach viel zu viel auf dem Spiel.
    Geoffrey und ich hockten da und genehmigten uns etwas zu trinken, unsere Rucksäcke standen vor unseren Füßen und unsere Expeditions-Daunenanzüge hatten wir bis zur Hüfte geöffnet, damit der
kühle Wind unsere verschwitzte Unterbekleidung trocknen konnte.
Ang-Sering und mein Freund Thengba - die beiden Sherpas in Lager
zwei - hatten uns mit heißer Zitrone versorgt.
    Es war ein gutes Gefühl, dass wir es bis auf Lager 2 geschafft hatten.

    Ich wusste, dass Mick, Neil und die anderen sich mittlerweile irgendwo zwischen Lager 3 und Lager 4 befinden mussten. Sie würden
in ganz neues Terrain vorstoßen und sie würden höher klettern als jemals zuvor auf dieser Expedition.
    Wir hatten die Aufstiegsroute ganz genau studiert.
    Zunächst müsste die extrem ausgesetzte und tückische LhotseFlanke durchstiegen werden, danach ginge es über große Passagen
weiter steil bergauf bis zum sogenannten „Gelben Band" - einer
schroffen Felsformation aus gelblichem Gestein - und danach weiter
zu einem markant in die Höhe ragenden Felspfeiler, dem Genfer
Sporn. Wenn der Genfer Sporn überklettert wäre, würde es über eine
ausgesetzte Traverse weitergehen zum Südsattel des Everest - hier
würde sich in windiger und eisiger Höhe dann unser Hochlager befinden, Lager 4.
    Mit einem Blick durchs Fernglas machten die Sherpas die Bergsteiger an der Gipfelpyramide aus und zeigten mit dem Finger in ihre
Richtung. Sie waren winzige

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