Schlamm, Schweiß und Tränen
dass niemand es
mitbekam. Zum ersten Mal wollte ich vermeiden, dass die anderen
denken könnten, dass mir die Höhe Probleme macht. Nicht jetzt, in
dieser entscheidenden Phase.
Unser Zelt hätte sich hervorragend als Einmannzelt geeignet für
einen Kletterer, der mit minimaler Ausrüstung unterwegs ist, anstatt
für drei Leute, die mit kompletter Bergsteigerausrüstung in der kältesten und windigsten Gegend der Welt unterwegs waren.
Auf so engem Raum zusammengepfercht zu sein, erfordert ein
Höchstmaß an Toleranz, wenn man müde und durstig ist und zudem
rasende Kopfschmerzen hat - das heißt, entweder hockt man zusammengekauert über einem Kocher und schmilzt Eis oder man sitzt
dicht gedrängt an der kalten Eiswand neben dem Zelt.
Gerade in Augenblicken wie diesen war es sehr wichtig, dass man
gute Freunde um sich hatte.
Gute Freunde, auf die man sich verlassen kann - also jene Art von
Leuten, die Dir Mut machen, wenn es knüppeldick kommt.
Denn wenn es überhaupt möglich ist, dass gute Freundschaften
noch besser, noch belastbarer und noch inniger werden können, dann
jetzt und hier.
Wir haben uns ganz ohne Worte verstanden und all die notwendigen täglichen Pflichten erledigt, die ein Aufenthalt in so extremer
Höhe eben mit sich bringt.
Sobald man seine Stiefel samt Schneegamaschen ausgezogen hatte, verließ man das Zelt nicht mehr. Denn etliche Bergsteiger waren
schon ums Leben gekommen, weil sie nur mit ihren Innenschuhen
bekleidet, einen Schritt vors Zelt gewagt hatten.
Ein kleiner, durch die Höhe bedingter Ausrutscher auf dem blanken Eis war das Letzte, was sie noch bei vollem Bewusstsein mitgekommen haben, bevor sie die 1.500 Meter hohe vergletscherte LhotseFlanke hinuntergerauscht und in den Tod gestürzt sind.
Und wenn man mal pinkeln musste, hat man stattdessen im Zelt
in seine Urinflasche gepinkelt und sie dann ganz fest an den Oberkörper gedrückt hat, weil sie so schön warm war.
Doch was die größeren Geschäfte anging, das war immer ein Albtraum, weil man zunächst alle im Zelt bitten musste, auf die Seite zu
rutschen, damit man sich wieder komplett anziehen konnte, bevor
man zuletzt seine Stiefel mitsamt den Steigeisen anzog, und nach einer geschlagenen halben Stunde endlich nach draußen gehen konnte.
Draußen musste man sich immer an einer Schlinge festhalten, die
mit einer Eisschraube versichert war, danach hat man sich die Hosen
runtergezogen, ging schön breitbeinig in die Hocke, hat den Hintern
möglichst weit über den vereisten Felsvorsprung hinaus geschoben
und gezielt.
Ach ja, und natürlich hat man sich zuvor auch vergewissert, das
nicht etwa andere Bergsteiger in die Schusslinie gerieten, die sich gerade auf dem Weg nach oben befanden.
Als die Nacht endlich vorüber war, kroch ich aus meinem Schlafsack, streckte meine Nase aus dem Zelt und saugte die frische, kühle Luft der Morgendämmerung mit jedem Atemzug tief in mich hinein.
Die heftigen Schneefälle und der starke Wind von gestern hatten aufgehört und es herrschte auf einmal wundervolle Stille.
Während ich darauf wartete, dass die anderen sich fertigmachten,
war ich von diesem Anblick so fasziniert, dass ich in ehrfürchtiger
Bewunderung erstarrte. Ich hatte das Gefühl, als würde ich gerade
auf eine Hälfte der Erdkugel hinunterschauen.
In diesen Minuten, in denen ich dasaß und darauf wartete, dass
Mick und Neil sich startklar machten, wurde ich von einer tiefen Stille
ergriffen, von der ich nicht einmal ahnte, dass sie überhaupt existiert.
Die Zeit schien stillzustehen und ich wünschte mir, dass dieser
Augenblick nie zu Ende geht.
Vor mir fiel die vergletscherte Felsflanke jäh in die Tiefe bis hinunter in das riesige Gletschertal des Western Cwm, und im Westen
konnte man die große Gebirgskette des Himalajas mit ihrem beeindruckenden Gipfelpanorama sehen.
Das hier oben war wirklich eine völlig andere Welt.
Wir befanden uns nun gute 2.000 Höhenmeter oberhalb vom Basislager. Das heißt, alle Berggipfel, die zu Beginn unseres Aufstiegs noch
hoch über uns hinausragten, lagen jetzt entweder unter uns oder mit
uns auf gleicher Höhe. Was für ein Bergpanorama und was für ein Privileg, dies mit eigenen Augen zu sehen und in sich aufzunehmen!
Doch heute würden wir unseren Klettervorsprung und die ganzen
Strapazen des Aufstiegs wieder zunichtemachen, weil wir - aus Akklimatisationsgründen - wieder auf eine tiefere Höhenstufe absteigen
mussten.
Als ich nach unten
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