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Schlamm, Schweiß und Tränen

Schlamm, Schweiß und Tränen

Titel: Schlamm, Schweiß und Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bear Grylls
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vergraben.
    Das sagte alles.
    An jenem Abend, als wir im Begriff waren, uns schlafen zu legen,
stupste er mich an. Ich setzte mich auf und sah, wie ein Lächeln über
sein Gesicht huschte.
    „Bear, das nächste Mal bestimme ich aber, wo wir unseren Urlaub
verbringen - in Ordnung?"
    Ich musste lachen und gleichzeitig weinen. Ich konnte nicht anders, denn es hatte sich emotional so viel in mir aufgestaut.
    Am nächsten Morgen sind Mick, Neil und Geoffrey aufgebrochen, um zum Basislager abzusteigen. Ihr Versuch, den Gipfel zu besteigen war gescheitert. Mick wollte einfach nur noch runter von
diesem trostlosen Berg - und sich in Sicherheit bringen.

    Ich schaute ihnen nach, wie sie ins Gletschertal des Western Cwm
marschierten und hoffte, dass meine Entscheidung, ohne meine Kameraden, nun ganz allein in Lager 2 auszuharren, die richtige war.

    Je länger man sich in großer Höhe aufhält, desto mehr wird der
Körper geschwächt, weil ab einer bestimmten Höhe eine vollständige
Akklimatisation nicht mehr möglich ist. Der Übergang zwischen Akklimatisation und Deterioration - das heißt, eines zunehmenden körperlichen und geistigen Leistungsverlusts bis hin zum Tod - ist daher
fließend. Ich hatte mich dafür entschieden, das Risiko einer Deterioration in Kauf zu nehmen und weiter abzuwarten - nur für den Fall.
Für den Fall, dass sich uns noch einmal eine Chance auf eine Gipfelbesteigung bieten würde.
    Die einen nannten es mutig, die anderen nannten es dumm.
    Der Taifun wurde schwächer und sollte uns erst in zwei Tagen erreichen. Doch er war noch immer im Anmarsch. Allerdings waren
zwei Tage viel zu kurz, um zuerst zum Gipfel aufzusteigen und dann
noch den Abstieg zu bewältigen. Sollte der Orkan also bis morgen
noch weiter auf uns zukommen, so versprach ich Henry und Mick,
dass ich zum Basislager zurückkehren würde.
    In den nächsten beiden Tagen drehten sich meine Gedanken nur
um den mittäglichen Funkspruch vom Basislager - wann sie mir die
Wettervorhersage durchgeben würden. Ich hoffte verzweifelt auf die
Nachricht, dass der Taifun im Begriff wäre abzudrehen.
    Am ersten Tag hieß es, das Sturmsystem verharre nahezu stationär. Am zweiten Tag war die Situation noch immer unverändert. Also
beschloss ich, noch ein wenig länger zu warten.
    Der Funkspruch am nächsten Tag würde den Ausschlag geben.
    Dann, um 12:02 Uhr meldete sich das Funkgerät mit einem
Rauschen.
    „Bear, auf Lager 2, hier ist Neil. Alles okay?"

    Ich hörte seine Stimme laut und deutlich.
    „Warte gespannt auf Nachrichten", antwortete ich lächelnd. Neil
wusste ganz genau, was ich meinte.
    „Also gut, hör zu, ich habe eine Wettervorhersage und eine E-Mail
von Deiner Familie, die hierher weitergeleitet wurde. Was willst Du
zuerst hören, die gute Nachricht oder die schlechte?"
    „Nun mach schon, zuerst die schlechte Nachricht, dann haben
wir's hinter uns", antwortete ich.
    „Also, das Wetter ist noch immer bescheiden. Der Taifun zieht
wieder weiter und bewegt sich auf uns zu. Wenn er diesen Kurs bis
morgen beibehält, dann musst Du absteigen, und zwar fix. Tut mir
leid."
    „Und die gute Nachricht?", fragte ich hoffnungsvoll.
    „Deine Mutter hat Dir eine Nachricht über die Jungs vom Wetterdienst zukommen lassen. Sie sagt, dass es der ganzen Meute zu Hause
gut geht."
    Klick.
    „Mensch, sprich weiter, das kann doch nicht etwa alles gewesen
sein. Was schreibt sie noch?"
    „Na ja, sie glauben, dass Du noch unten im Basislager bist. Ist
wahrscheinlich besser so. Ich melde mich morgen noch mal."
    „Danke, Kumpel. Ach, und bete, dass das Wetter besser wird. Das
ist unsere letzte Aufstiegschance."
    „Verstanden, Bear. Fang bloß nicht an, Selbstgespräche zu führen.
Ende."
    Nun musste ich mich noch einmal 24 Stunden in Geduld üben.
Es war die Hölle. Denn ich konnte spüren, wie zusammen mit der
schwindenden Hoffnung, doch noch eine Chance auf eine Gipfelbesteigung zu bekommen, auch mein Körper immer schwächer wurde.
    Ich fing an, nicht nur an mir selbst zu zweifeln, sondern auch
an meiner Entscheidung, überhaupt in dieser Höhe so lange auszuharren.
    Noch lange vor Tagesanbruch kroch ich aus meinem Zelt. Es war
4:30 Uhr. Ich hockte zusammengekauert unter dem Vordach meines
Zelts und wartete darauf, dass die Sonne aufging.

    In meiner Fantasie stellte ich mir vor, wie ich den Gipfel besteigen
würde - immer höher und immer weiter hinauf, auf diesem unbarmherzigen Berg, der einem bis zur

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