Schlamm, Schweiß und Tränen
sehr weit weg.
„Bear. Hier ist Mick. Kannst Du mich hören?"
Dann knackte es im Funkgerät und die Nachricht wurde immer
wieder durch Rauschen unterbrochen. Das Einzige, was ich entziffern
konnte war, dass es um Sauerstoff ging.
Ich wusste, dass das keine gute Nachricht war.
„Mick, wiederhol das noch einmal. Was ist los mit Deinem Sauerstoff, Ende?"
Dann war eine kurze Pause.
„Ich hab keinen mehr. Ich hab überhaupt keinen mehr."
Seine Worte hallten durch die Stille des Zelts in Lager 2.
Ich hatte die Augen fest zusammengekniffen und der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf schoss war, dass mein bester Freund
sich etwa 2.000 Höhenmeter über mir befand und schon bald sterben
würde - und dass ich nicht in der Lage war, ihm zu helfen.
„Sprich weiter, Mick. Los, hör nicht auf, mit mir zu reden", sagte
ich mit fester Stimme. ,Wer ist bei Dir?"
Wenn Mick aufhören würde zu reden und keine Hilfe bekäme, so
viel wusste ich, dann würde er dort oben niemals überleben. Zuerst
hätte er keine Kraft mehr, sich auf den Füßen zu halten, und wenn er
sich nicht mehr auf den Füßen halten könnte, wäre er nicht mehr in
der Lage, sich zu bewegen und gegen die Kälte zu wehren.
Bewegungslos, unterkühlt und ohne Sauerstoff würde er schon
bald das Bewusstsein verlieren. Dann wäre er unausweichlich dem
Tod geweiht.
„Alan ist da", antwortete er und machte eine Pause. „Er hat auch
keinen Sauerstoff mehr. Das ist ... das ist nicht gut, Bear."
Ich wusste, dass wir Neil anfunken mussten, und zwar schnell.
Denn die Überlebenschance der beiden hing davon ab, ob noch jemand in ihrer Nähe war.
Mick meldete sich noch einmal: „Bear, ich schätze, dass Alan nur
noch zehn Minuten zu leben hat. Ich weiß nicht, was ich machen
soll."
Ich versuchte, den Funkkontakt zu halten, doch er antwortete
nicht mehr.
Doch schließlich wurde Mick von zwei schwedischen Bergsteigern und einem Sherpa namens Babu Chiri gefunden.
Durch Zufall - durch die Gnade Gottes - hatte Babu eine Reserveflasche Sauerstoff bei sich.
Neil und Pasang waren mittlerweile ebenfalls abgestiegen und trafen auf Mick und die anderen. Dann machte Neil in unmittelbarer
Nähe eine bereits zur Hälfte im Schnee versunkene Notfallreserve an
Sauerstoffflaschen ausfindig und gab Alan sofort eine Flasche. Anschließend befahl er Alan und Mick wieder aufzustehen.
Mick kann sich kaum daran erinnern, was in den nachfolgenden
Stunden passierte, denn aufgrund des Sauerstoffmangels war er schläfrig, träge und kaum ansprechbar, außerdem verlor er immer wieder
das Bewusstsein. Sein Zustand war eine Mischung aus Benommenheit
und geistiger Verwirrtheit, Erschöpfung und Unterkühlung.
Während der Aufstieg auf einer mit Schnee bedeckten Eisfläche
aus blauem Blankeis schon extrem gefährlich ist, kann der Abstieg
dagegen regelrecht lebensgefährlich sein. Mick quälte sich mit
schwankenden, zittrigen Schritten nach unten, wobei ihm die kraftzehrende dünne Höhenluft fürchterlich zu schaffen machte.
Irgendwo unterhalb des Balkons spürte Mick dann, wie der Boden
plötzlich unter seinen Füßen wellenartig wegrutschte. Der lockere
Pulverschnee, der die blaue Eisfläche bedeckte, hatte blitzartig nachgegeben und rutschte unter ihm weg.
Dann sauste Mick auf seinem Rücken mit Karacho die steile Flanke hinunter und beging den verhängnisvollen Fehler, seinen Sturz abfangen zu wollen, indem er versuchte, seine Steigeisen tief in den
Schnee zu rammen. Doch durch die Geschwindigkeit wurde er mit
großer Wucht nach vorn katapultiert, sodass er sich überschlug und
noch viel schneller diesen vergletscherten, mit Schnee bedeckten
Steilhang hinunterrauschte.
Er hatte sich schon damit abgefunden, dass er hier oben sein Leben lassen würde.
Immer wieder überschlug er sich, prallte auf und drehte sich, bis er
plötzlich auf einem kleinen Vorsprung zum Stillstand kam. Dann
hörte er Stimmen - sie waren leise und fremdartig.
Mick versuchte, laut um Hilfe zu rufen, doch er brachte keinen
einzigen Ton heraus. Die Bergsteiger, die mittlerweile unten am Südsattel angekommen waren, gingen auf ihn zu, klinkten ihn ins Sicherungsseil ein und hielten ihn fest. Er zitterte hemmungslos am ganzen
Körper.
Als Mick und Neil 24 Stunden später total erschöpft bei uns in
Lager 2 eintrafen, standen sie noch immer unter Schock. Sie waren
völlig andere Menschen. Mick saß einfach nur da und hatte den Kopf
in seine Hände
Weitere Kostenlose Bücher