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Schlamm, Schweiß und Tränen

Schlamm, Schweiß und Tränen

Titel: Schlamm, Schweiß und Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bear Grylls
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langsam aufzusteigen.
Sieht ganz danach aus, als ob wir um den 19. herum die Chance bekommen, den Gipfel zu ersteigen. Gut, damit bleiben uns fünf Tage, um zu
Lager 4 am Südsattel aufzusteigen und uns dort bereitzuhalten, für den
Gipfelanstieg. Wir müssen jetzt unbedingt alle nötigen Vorbereitungen
treffen und uns auf den Weg machen - das heißt, jetzt sofort."
    Dieser Augenblick, dem ich so sehr entgegengefiebert hatte, verwandelte sich auf einmal in einen Augenblick, den ich am meisten
fürchtete.
    Jetzt war er endlich gekommen, doch das Timing hätte nicht
schlechter sein können - ich lag flach, war total platt und unfähig
mich zu bewegen.
    Ich verfluchte mich selbst, denn ich hatte hohes Fieber und Schüttelfrost und meine Gelenke schmerzten fürchterlich. Wie in aller Welt
hätte ich in diesem Zustand denn klettern sollen - außerdem war das
Basislager auf 5.400 Metern nicht gerade ein Ort, an dem man schnell
wieder gesund werden konnte.

    Mick, Neil, Karla und Alan sollten am nächsten Tag vor Morgengrauen das Basislager verlassen und aufsteigen. Michael, Graham und
Geoffrey würden eine zweite Seilschaft bilden und einen Tag später
aufbrechen - sofern das Wetter mitspielte.
    Was mich anging, ich musste mich den ganzen Tag lang immer
wieder übergeben. Ich war völlig am Ende und kreidebleich. Mein
Traum von der Everest-Besteigung dümpelte draußen vor meinem
Zelt - in einem See aus Erbrochenem.
    Ich hatte absolut alles gegeben für diese eine Chance, den Gipfel
zu erklimmen - und jetzt konnte ich nur noch hilflos dabei zusehen,
wie diese Chance immer kleiner wurde.
    Bitte, lieber Gott, hilf mir, dass es mir wieder besser geht - und zwar
schnell.
    Jene Nacht war für mich die wahrscheinlich längste und einsamste Nacht auf dieser Expedition.

    Ich lag in einem trockenen Zelt, ich war in Sicherheit, ich hatte
meine Freunde um mich, aber dennoch war ich total verzweifelt. Und
ich fühlte mich allein.
    Eine verpasste Chance.
    In nur wenigen Stunden würden Neil, Mick, Karla und Alan das
Basislager verlassen und nun - sechs Monate nach Ende der Herbstsaison - den ersten Besteigungsversuch der Frühjahrssaison über die
Südroute zu wagen - und ich wäre nicht mit dabei.
    Graham und Michael waren auch krank - sie husteten und prusteten, waren völlig erschöpft und entkräftet.
    Henry hatte darauf bestanden, dass Geoffrey zurückbleiben sollte,
um sich der zweiten Seilschaft anzuschließen. Denn Seilschaften von
vier und vier waren sicherer als fünf und drei. Großmütig hatte er sich
einverstanden erklärt.
    Wir vier Leutchen wären schon eine ziemlich mittelmäßige Reserve-Gipfeltruppe - vorausgesetzt, dass es überhaupt eine Chance für
eine zweite Gipfeltruppe gab.
    Ich hatte da so meine Zweifel.
    Um fünf Uhr in der Früh hörte ich ein erstes Rascheln aus Micks
Zelt - doch an diesem Morgen liefen die Dinge anders als sonst. Es
wurde nicht gescherzt und gelacht. Neil und Mick flüsterten vielmehr
miteinander, während sie in der kalten Luft der Morgendämmerung
ihren Klettergurt anlegten.
    Sie wollten uns nicht aufwecken. Allerdings hatte ich die ganze
Nacht kein Auge zugemacht.
    Die beiden wollten sich zügig auf den Weg machen. Sie knieten
kurz vor meinem Zelt, um sich zu verabschieden. Mick schüttelte mir
die Hand und drückte sie dann ganz fest.
    „Du warst eine so große Stütze für dieses Team, Bear. Halt einfach
durch und komm wieder auf die Beine. Deine Chance kommt noch,
Kumpel."
    Ich lächelte. Dabei beneidete ich die beiden so sehr - um ihr Timing, um ihre Chance und nicht zuletzt um ihre Gesundheit.
    Um 5:35 Uhr verließen alle vier in Begleitung von Sherpa Pasang
das Basislager. Ich konnte hören, wie die Steine unter ihren Stiefeln knirschten, als sie entschlossenen Schrittes über das Geröllfeld marschierten zum Einstieg in den Eisbruch.

    Noch nie zuvor hatte es sich so still und so trostlos angefühlt,
wenn ich in meinem Zelt lag.

    Zwei Tage später - die Jungs waren gerade im Begriff, zu Lager 3
aufzusteigen - merkte ich schon beim Aufwachen, dass es mir deutlich
besser ging. Weitaus besser als erwartet. Ich war zwar noch nicht hundertprozentig gesund, aber zumindest halbwegs wiederhergestellt.
    Für mich war das immerhin gesund genug. Das Antibiotikum
schlug an.
    Doch die Wettervorhersage, die für jenen Morgen hereinkam, hatte sich schlagartig und dramatisch verschlechtert. Am Mount Everest
ist das nichts

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