Schlamm, Schweiß und Tränen
wunderbarsten Menschen, die ich je kennengelernt habe; ich habe ihn sehr geliebt. Er war sanftmütig, liebenswürdig, stark, voller Zuversicht und lebenslustig; und er hatte eine
Vorliebe für Riesentafeln Schokolade (auch wenn er sie immer grimmig ablehnte, wenn man ihm eine als kleine Aufmerksamkeit mitbrachte). Doch unter Garantie hatte er sie innerhalb weniger Minuten
verputzt, sobald man gegangen war.
Er wurde 93 Jahre alt und hat sehr gewissenhaft und konsequent
sein tägliches Sportprogramm absolviert. Man konnte dann immer
hören, wenn er in seinem Schlafzimmer vor sich hin murmelte: „die
Knie beuuugen, die Zehen berüüühren, Arme ganz nach oben strecken und einatmen ...." Er sagte immer, dies wäre das Geheimrezept,
um sich stets bester Gesundheit zu erfreuen. (Ich bin mir zwar nicht
sicher, wo genau die Schokolade oder das dick mit Butter bestrichene
Toastbrot in diesem Gesundheitsprogramm einzuordnen ist, doch
was soll's - man muss das Leben ja auch genießen.)
Als Opa Neville starb, saß er auf einer Bank am Ende unserer
Straße, ganz in der Nähe des Meeres. Noch heute fehlt er mir - seine
langen, buschigen Augenbrauen, seine großen Hände und festen Umarmungen, seine Wärme, seine Gebete und seine Geschichten, doch
vor allen Dingen sein leuchtendes Vorbild, wie man leben und wie
man sterben sollte.
Mein Onkel Andrew hat sehr schön beschrieben, was für ein
Mensch Neville war:
Neville ist in seinem Herzen ein Schuljunge geblieben; deshalb hat er
auch so ein wunderbar harmonisches Verhältnis zu den jungen Leuten gepflegt. Begeisterung, Ermunterung und Liebe waren immer sein
Leitspruch.
Er fungierte als Saalordner bei Winston Churchills Trauerfeier und
bewegte sich nicht nur problemlos in der adligen Gesellschaft, sondern
gleichermaßen in jeder Gesellschaft. Er lebte nach Rudyard Kiplings
Grundsatz: ,Wenn dich die Menge liebt und du noch du bleibst, wenn
du den König und den Bettler ehrst.'
Er war nicht nur ein vorbildlicher Sportler, sondern auch ein vorbildlicher Gentleman. Ich habe nie gehört, dass er schlecht von jemandem
gesprochen hätte; ich habe nie erlebt, dass er unfreundlich gewesen
wäre. Er war in jeder Hinsicht ein wunderbarer Mensch.
Oma Patsie - eine bemerkenswerte Lady, die auf ein außergewöhnliches Leben zurückblicken konnte - war ebenso zu einem großen Teil an meiner Erziehung auf der Insel beteiligt. Sie war liebenswürdig und herzlich, aber gleichzeitig auch zerbrechlich. Für uns war
sie allerdings einfach nur Oma. Als sie jedoch älter wurde, reagierte
sie zunehmend sensibel und verletzlich und hatte mit Depressionen zu
kämpfen. Vielleicht war dies zum Teil auf ihre Schuldgefühle zurückzuführen, weil sie sich nicht verzeihen konnte, dass sie Neville in jungen Jahren betrogen hatte.
Doch sie hatte ihr ganz eigenes Antidepressivum entwickelt, nämlich eine Vorliebe für den Erwerb teurer, zumeist allerdings völlig
nutzloser Objekte, und zwar in der festen Überzeugung, dass sie eine
großartige Geldanlage darstellten.
Unter anderem kaufte Oma einen komplett ausstaffierten, altertümlichen Zigeunerwagen sowie ein Ladenlokal, das direkt neben der
Fish-and-Chips-Bude unseres Dorfes lag und nur knapp 200 Meter
die Straße entlang von unserem Haus entfernt war. Das Problem an
dem Ganzen war nur, dass der Zigeunerwagen ohne sachgerechte Pflege vor sich hin gammelte und dass das Ladenlokal zu ihrem persönlichen Antiquitäten- und Ramschladen verkam.
Natürlich war das eine echte Katastrophe.
Wenn man außerdem noch berücksichtigt, dass für das Ladengeschäft auch Personal nötig war (eine Aufgabe, die meist von verschiedenen Familienmitgliedern übernommen wurde, einschließlich von
Nigel, der die meiste Zeit draußen vor dem Laden in einem Liegestuhl hockte und sich mit einer Zeitung überm Kopf im tiefen
Schlummer befand), dann gewinnt man leicht den Eindruck, dass das
Leben auf der Insel nicht nur unrentabel war, sondern gleichzeitig
große Charakterstärke erforderte. Aber in erster Linie war es immer
ein Riesenspaß.
(Nigel war Omas zweiter Ehemann, ein liebenswerter Schlawiner,
der damals in der Tat ein sehr erfolgreicher Politiker war. Ihm wurde
während des Zweiten Weltkriegs ein MC (Military Cross) verliehen -
eine militärische Auszeichnung für den verdienstvollen Kampfeinsatz;
später bekam er dann einen Posten als Nachwuchsminister in der Regierung. Für mich allerdings verkörperte er die Figur eines
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