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Schlamm, Schweiß und Tränen

Schlamm, Schweiß und Tränen

Titel: Schlamm, Schweiß und Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bear Grylls
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schlief ich dann ein.
    Um 5:45 Uhr hockten wir alle auf der Eisfläche vor dem Lager
und legten unsere Steigeisen an.
    Ohne ein Wort zu reden, stiegen wir die Lhotse-Flanke hinauf zu
Lager 3. Ich hoffte nur, dass wir nicht so lange dafür brauchen würden wie das letzte Mal.
    Um zehn Uhr hatten wir schon ein großes Stück der Flanke bewältigt. Wir arbeiteten uns systematisch über die blaue Blankeisfläche
der Steilwand hinauf Ich lehnte mich in meinem Klettergurt zurück
und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die um meinen Hals
baumelte. Das Klettern ging ganz okay; ich war zwar nicht schnell,
aber ich kam voran.
    Außerdem fühlte ich mich stärker als das letzte Mal, als ich zu
Lager 3 aufgestiegen war. Das war doch ein gutes Zeichen.
    Nach fünfeinhalb Stunden hatten wir die Lhotse-Wand durchstiegen und die Zelte von Lager 3 waren nur noch gute 30 Meter entfernt.
Aber dennoch brauchte ich 20 Minuten, um diese kaum nennenswerte Distanz zu überwinden.
    Immer mit der Ruhe und immer schön gleichmäßig nach oben klettern.
Denk nicht an die Atemnot, die tauben Füße und Zehen und erst recht
nicht an die Ausgesetztheit und wie tiefes nach unten geht. Konzentriere
Dich immer auf den nächsten Schritt. Das ist das Einzige, was zählt.
    Befolgt man die Gesetze der Physik und steigt kontinuierlich
bergauf - ganz gleich, wie langsam man vorankommt - wird man irgendwann auch den Gipfel erreichen. Doch speziell am Mount Everest ist der Aufstieg extrem beschwerlich und qualvoll.
    Ich hatte mir zuvor überhaupt keine Vorstellung davon machen
können, dass ein Berg so mächtig sein kann, dass er einen vor Erschöpfung regelrecht in die Knie zwingt - zum Aufgeben bringt.

    Ich war noch nie ein Typ, der schnell aufgegeben hat - allerdings
hätte ich alles dafür gegeben, dass dieser Schmerz und diese unendliche Erschöpfung aufhören. Ich versuchte daher, den Gedanken ans
Aufgeben zu verdrängen.
    Und so musste ich in den kommenden 48 Stunden ununterbrochen einen erbitterten und zermürbenden Kampf mit mir selbst ausfechten - den Kampf, ja nicht aufzugeben.
    In Lager 3 angekommen, fielen wir erschöpft in unser Zelt, das
mittlerweile zur Hälfte im Neuschnee der vergangenen Woche versunken war. Wir waren vier Bergsteiger, denen die Angst ins Gesicht
geschrieben stand und die sich dieses eine Zelt teilen mussten, das auf
einem gefährlich schmalen vereisten Felsvorsprung thronte. Uns quälte nicht nur die Kälte und der Durst, sondern wir hatten auch entsetzliche Kopfschmerzen und Krämpfe.
    So manches Mal in meinem Leben war ich schon dankbar dafür,
dass ich beim Militär gelernt hatte, mit Kameraden auf engstem
Raum zusammenzuleben. Denn diese Fähigkeit kam mir in all den
Jahren, in denen ich auf Expeditionen unterwegs war sowie auch bei
anderen Gelegenheiten sehr zugute. Darüber hinaus war ich auch
heilfroh, dass ich Neil an meiner Seite hatte.
    Denn wenn wir mit guten und freundlichen Menschen zusammen
sind, dann färbt diese Freundlichkeit und Güte auch auf uns ab. Das
gefällt mir so am Leben.
    Außerdem habe ich in der Armee eine weitere entscheidende Fähigkeit gelernt, nämlich wie und wann ich absolut das Letzte aus mir
herausholen muss, um mein Ziel zu erreichen. Der richtige Zeitpunkt
dafür ist dann gekommen, wenn es extrem schwierig wird - das heißt,
wenn alle anderen um einen herum langsamer werden, jammern und
aussteigen.
    Im Grunde geht es eigentlich darum zu begreifen, dass jener Augenblick, in dem um einen herum alles düster und aussichtslos erscheint, genau der Augenblick ist, in dem man sich bewähren und
sein Bestes geben muss.
    Immer sein Bestes zu geben, ist nicht nur ein einfacher Grundsatz,
sondern gleichzeitig eine wesentliche Voraussetzung, um sein Leben gut zu meistern. Viele meiner Freunde leben nach demselben Grundsatz. Und auf dem Mount Everest ist diese Charaktereigenschaft absolut unverzichtbar.

    Karla hatte Henry ihr Wort gegeben, dass sie nur dann weiter aufsteigen würde, wenn der Wind nachlässt. Denn Henry wusste, dass
Karla aufgrund ihres extremen Erschöpfungszustands den Aufstieg
zum Gipfel nur bei optimalen Wetterbedingungen überleben würde.
    Um 18:00 Uhr kam ein Funkspruch vom Basislager durch; es war
Henry seine Stimme knackte und rauschte.
    „Jungs, der Wind wird stärker. Karla, es tut mir leid, aber Du
musst wieder zum Basislager absteigen. Ich kann das Risiko nicht eingehen, dass Dir etwas passiert."
    Dann gab es eine lange

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