Schlamm, Schweiß und Tränen
waren schwer wie Blei. Es fühlte sich so an, als
wären sie zugeschweißt und ich müsste sie regelrecht aufstemmen.
Unsere Vorfreude auf das frische Omelett, das man uns vom Basislager aus über Funk versprochen hatte, war so groß, dass wir uns erst gar
nicht die Mühe machten, etwas zu essen, bevor wir aufbrachen. Wir haben einfach nur zugesehen, dass wir uns zügig abmarschbereit machten.
Allerdings dauerte es eine ganze Weile, bis ich halbwegs in Gang
gekommen war und so mussten die anderen auf mich warten, bis ich
zuerst mühsam meinen Rucksack geholt hatte, danach wieder ins Zelt
gekrochen war und zuletzt meine Steigeisen angelegt hatte. Jegliche
Energiereserven und jedes noch so kleine Quäntchen Kraft waren
schon seit Langem aufgebraucht.
Mein Rucksack fühlte sich an, als würde er eine Tonne wiegen,
denn ich hatte mein ganzes Zeug darin verstaut, das ich wieder mit
bergab nehmen musste. Dann setzten wir uns in Bewegung und nahmen mit schleppenden Schritten Kurs auf den Gletscher.
Eine Stunde, nachdem wir von Lager 2 aufgebrochen waren, wurden wir abrupt am Weitergehen gehindert.
Von den Bergwänden ringsum ertönte ein fürchterliches Grollen
und dann erschütterte ein dumpfes berstendes Krachen die ganze
Umgebung. Wir kauerten uns zusammen, schauten nach oben und
beobachteten, was da passierte.
Keine 500 Meter vor uns, und zwar exakt auf der Route, die wir
nehmen mussten, kam die ganze Seite der Nuptse-Flanke heruntergerauscht.
Mit einem riesigen Donnerhall fegte eine weiße Pulverwolke etliche tausend Meter von der Nuptse-Wand herunter. Sie wurde immer
größer und rollte mit atemberaubender Geschwindigkeit über den
Gletscher. Wir standen schweigend da, als sich diese gigantische Lawine unmittelbar vor uns ins Gletschertal des Western Cwm ergoss.
Wären wir nur ein paar Minuten früher aufgebrochen, dann hätte
uns diese Lawine verschlungen und unter sich begraben. Ende. Aus.
Vorbei.
Manchmal ist es eben von Vorteil, wenn man etwas langsamer ist.
Wir warteten so lange, bis der Berg wieder vollständig zur Ruhe
gekommen war, bevor wir unseren Weg vorsichtig über die Schneemassen der niedergegangenen Lawine fortsetzten.
Seltsamerweise hatte ich ausgerechnet in jenem Augenblick die allergrößte Angst, mein Leben zu verlieren. Es war, als ob dieser winzige
glückliche Zufall - dass wir der Lawine gerade noch einmal entkommen sind - mich wachgerüttelt und mir ins Bewusstsein gerufen hätte, welchen Risiken wir uns eigentlich hier oben aussetzen.
Je näher das Basislager rückte, desto mehr wurde mir, glaube ich,
bewusst, dass wir nahezu Unmögliches geleistet hatten. Wir hatten
dem Tod ein Schnippchen geschlagen - bis jetzt. Doch noch waren wir
dem Berg und seinen Gefahren ausgeliefert, denn schließlich hatten wir
noch den letzten Abstieg durch den Khumbu-Eisbruch zu bewältigen.
Während wir auf der Route durch das Western Cwm eine tiefe
Gletscherspalte nach der anderen überquerten, hatten wir auf einmal
das Gefühl, dass wir den Berg allmählich hinter uns lassen. Mittlerweile war ich seit über zehn Tagen nicht mehr tiefer als Lager 2 abgestiegen und mir war in diesem Augenblick durchaus bewusst, dass ich
etwas Außergewöhnliches hinter mir lasse.
Wir stiegen schweigend ab, jeder war ganz in seine Gedanken versunken.
Zwei Stunden später hatten wir die Abbruchkante des Gletschers
erreicht. Die übereinander getürmten bizarren Eisformationen des Eisbruchs, die sich kaskadenförmig von der Abbruchkante über die Steilstufe hinunterstürzen, schienen uns ein letztes Mal zu sich heranzuwinken. Wir hatten keine andere Wahl, als dieser Geste Folge zu leisten.
Frisch gefallener, tiefer Pulverschnee bedeckte nun den ganzen
Eisbruch - ein atemberaubender Anblick. Denn während wir zum
Gipfel aufgestiegen waren, hatte es fast ununterbrochen geschneit.
Außerdem war die Route, die durch dieses Eislabyrinth führt, mittlerweile überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen. Das liegt daran,
dass der Gletscher ständig in Bewegung ist.
Die neue Route schlängelte sich über riesige Eisblöcke hinweg und
führte unter zahlreichen überhängenden Eistürmen hindurch, die
uns regelrecht zermalmen könnten, sollten sie exakt in dem Augenblick zusammenbrechen, wenn wir unter ihnen hindurchstiegen.
Ich merkte, wie mit jedem Serac, den wir erfolgreich unterquerten,
auch die extreme Anspannung nach und nach von mir abfiel.
Denn mit jedem Schritt kam ich einen Schritt
Weitere Kostenlose Bücher