Schlangen im Paradies
sie sich mit ständig wechselnden Traumsequenzen herumgeschlagen. Alle tauchten sie darin auf: Mama, Leila, Ted, Craig, Syd, Cheryl, Sammy, Min, Helmut – sogar Leilas zwei Ehemänner, diese Scharlatane, die ihren Erfolg dazu benutzten, sich selbst ins Rampenlicht zu bringen, der erste ein Schauspieler, der zweite ein Möchtegern-Produzent und -Salonlöwe …
Um sechs erhob sie sich, zog die Jalousien hoch, kuschelte sich dann wieder unter die weiche Bettdecke. Es war kühl drau-
ßen, doch sie liebte es, den Sonnenaufgang zu beobachten. Für sie besaßen die frühen Morgenstunden etwas Besonderes, fast Unwirkliches. Kein menschlicher Laut war zu hören, nur die Seevögel an der Küste unterbrachen die Stille.
Um halb sieben klopfte es an die Tür. Vicky brachte das obligate Glas Saft. Sie arbeitete schon seit Jahren als Zimmermädchen in Cypress Point. Jetzt, als rüstige Sechzigerin, besserte sie die Rente ihres Mannes damit auf, daß sie «verblühten Spätlin-gen zur Aufmunterung das Frühstück servierte», wie sie gern spottete. Vicky und Elizabeth begrüßten sich herzlich wie alte Freundinnen.
«Ein komisches Gefühl, diesmal hier auf der Gästeliste zu stehen», bemerkte Elizabeth.
«Sie haben sich das redlich verdient. Ich hab Sie in Hilltop gesehen. Sie sind ’ne verdammt gute Schauspielerin.»
«Trotzdem fühle ich mich sicherer, wenn ich Unterwasseraerobic unterrichte.»
«Und Prinzessin Di kann jederzeit Kindergärtnerinnen ausbil-den. Jetzt machen Sie mal ’nen Punkt!»
Elizabeth wartete, bis sich die tägliche Prozession zum sogenannten Zypressen-Marsch in Bewegung gesetzt hatte. Als sie nach draußen ging, näherten sich die Wanderer unter Führung von Min und Helmut bereits dem Weg zur Küste. Der flotte Morgenspaziergang folgte einer festgelegten Route und dauerte fünfunddreißig Minuten. Nach der Rückkehr gab es dann Früh-stück.
Elizabeth wartete, bis sie außer Sicht waren, und begann, in entgegengesetzter Richtung zu joggen. Um diese frühe Stunde herrschte kaum Verkehr. Sie wäre lieber die Küste entlanggelaufen, wo sie den vollen Blick aufs Meer genießen konnte, doch damit hätte sie riskiert, von den anderen bemerkt zu werden.
Wenn doch Sammy bloß schon wieder da wäre, dachte sie, während sie das Tempo allmählich steigerte. Ich könnte mit ihr reden und nachmittags das Flugzeug nehmen. Sie wollte weg von hier. Falls man Alvirah Meehan glauben konnte, hatte Cheryl am Vorabend Leila eine «ausgeflippte Säuferin» genannt.
Und alle hatten darüber gelacht – alle, bis auf Ted, ihren Mörder.
Min, Helmut, Syd, Cheryl, Craig, Ted. Die Menschen, die Leila am nächsten gestanden, die bei der Trauerfeier vor Schmerz geweint hatten.
Ich lasse dich nicht im Stich, Leila, gelobte sie. Mit einer un-geduldigen Bewegung wischte sie sich die Tränen aus den Augen. Sie lief immer schneller, als wolle sie den quälenden Gedanken entrinnen. Die Sonne brachte den Frühnebel zum Ver-schwinden; auf den dichten Hecken vor den Häusern am Weg-rand glitzerte der Morgentau; über ihr kreisten Seemöwen und stießen dann wieder aufs Meer herab. Wie weit konnte man sich auf Alvirah Meehan als Zeugin verlassen? Sie hatte eine seltsame Intensität an sich, die sich kaum noch mit der Begeisterung über den Aufenthalt in Cypress Point erklären ließ.
Sie kam am Golfplatz vorbei, wo sich bereits einige Frühaufsteher betätigten. Sie hatte am College mit Golfspielen angefangen. Leila hatte zwar Ted gegenüber immer wieder beteuert, irgendwann würde sie sich ganz bestimmt die Zeit nehmen und es lernen, und dabei war es geblieben. Das wäre auch nichts für Leila gewesen, dachte Elizabeth, während ein Lächeln über ihre Lippen huschte. Leila war viel zu ungeduldig, um vier oder fünf Stunden hinter einem Ball herzulatschen.
Sie bekam kaum noch Luft und verlangsamte das Tempo. Ich bin nicht in Form, dachte sie. Sie nahm sich vor, ein volles Tagesprogramm mit Fitnesstraining und Behandlungen zu absolvieren. Damit wäre die Wartezeit sinnvoll genutzt. Sie bog in die Straße ein, die nach Cypress Point zurückführte, und – stieß mit Ted zusammen.
Er packte sie bei den Armen, um sie vor dem Hinfallen zu bewahren. Sie atmete schwer nach dem heftigen Zusammenprall und bemühte sich, ihn wegzudrängen. «Laß mich los!» Und mit erhobener Stimme: «Du sollst mich loslassen, habe ich gesagt.»
Weit und breit kein Mensch zu sehen. Er schwitzte, das T-Shirt klebte ihm am Körper. Die teure Uhr,
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