Schlangen im Paradies
den Versuch aufgegeben, Elsie zu erklären, daß sie nach fünfunddreißig Schuljahren nie wieder ein Lehr-buch sehen wollte, daß die acht Jahre bei Leila die anregendsten, spannendsten ihres ereignislosen Lebens gewesen waren.
Dieses Wochenende war besonders mühsam gewesen. Als Elsie sie den Sack mit Fanpost durchgehen sah, hatte sie verblüfft gefragt: «Soll das etwa heißen, daß du sechzehn Monate nach dem Tod dieser Frau immer noch an ihre Fans schreibst? Bist du verrückt?»
Nein, das bin ich nicht, sagte Dora bei sich, während sie unter genauer Beachtung des Tempolimits – durch das Weingebiet fuhr. Trotz der ermüdenden Hitze herrschte bereits reger Aus-flugsverkehr, vollbesetzte Autobusse unternahmen die üblichen Rundfahrten durch die Weingärten, Weinproben inbegriffen.
Sie hatte sich erst gar nicht bemüht, Elsie klarzumachen, daß sie mit einigen persönlichen Zeilen an die Menschen, die Leila geliebt hatten, zugleich auch ihren eigenen Schmerz etwas lin-derte. Ebensowenig hatte sie ihrer Kusine den Grund verraten, weshalb sie den schweren Postsack mitgeschleppt hatte. Sie durchsuchte ihn, um festzustellen, ob Leila noch weitere anonyme Briefe bekommen hatte.
Der eine, den sie bereits gefunden hatte, war drei Tage vor Leilas Tod aufgegeben worden. Die Adresse auf dem Umschlag und der Text der Mitteilung waren auf die bekannte Art zusammengestückelt. Der Absender hatte die einzelnen Schnipsel aus Zeitschriften und Zeitungen herausgeschnitten.
Der Inhalt lautete:
Leila,
Wie oft soll ich Ihnen denn noch schreiben? Können Sie nicht kapieren, daß Ted Sie satt hat? Seine neue Flamme ist bildschön und viel jünger als Sie. Die passende Smaragdkette zu dem Armband, das er Ihnen geschenkt hat, trägt sie jetzt, das wissen Sie ja schon von mir. Er hat das Doppelte dafür bezahlt, und sie steht ihr zehnmal besser. Wie ich höre, ist Ihr Stück ein Reinfall. Sie sollten wirklich Ihren Text lernen. Ich melde mich bald wieder.
Ein Freund
Bei dem Gedanken an diesen Wisch und die vorangegangenen geriet sie wieder in Rage. Wie tief mußte das Leila getroffen haben …
Sie hatte wohl am schärfsten erkannt, wie schrecklich verletzlich Leila war, hatte begriffen, daß dieses zur Schau getragene Selbstbewußtsein, dieses strahlende Image nichts als Fassade war, hinter der sich ein zutiefst unsicheres Wesen verbarg.
Sie erinnerte sich an eine Szene, die sich zu Anfang ihrer Tä-
tigkeit bei Leila abgespielt hatte. Elizabeth war zu ihrer neuen Schule abgereist, und Sammy hatte Leila bei der Rückkehr vom Flugplatz erlebt – in Tränen aufgelöst, verlassen, völlig nieder-geschmettert. «Meine Güte, Sammy, ich kann’s nicht fassen, daß ich Spatz womöglich monatelang nicht sehe», schluchzte sie. «Aber ein Schweizer Internat müßte doch für sie eine tolle Sache sein? Ein himmelweiter Unterschied, wenn ich an meine sogenannte Alma Mater in Lumber Creek denke.» Und dann zögernd: «Sammy, heute abend möchte ich nichts unternehmen.
Könnten Sie hierbleiben und mit mir essen?»
Die Jahre vergehen so schnell, dachte Dora, als abermals ein Bus sie ungeduldig hupend überholte. Ihr schien, als erinnere sie sich an diesem Morgen besonders deutlich an Leila. An Leilas Eskapaden, an die Sorglosigkeit, mit der sie das Geld ebenso schnell wieder ausgab, wie sie es verdient hatte. An Leilas zwei Ehen … Sie hatte Leila inständig gebeten, den zweiten nicht zu heiraten. «Haben Sie denn Ihre Lektion noch immer nicht gelernt?» hatte sie sie beschworen. «Ein zweiter Parasit – das können Sie sich doch nicht antun!»
Darauf Leila, die Arme um die Knie geschlungen: «So schlimm ist er ja gar nicht, Sammy. Er bringt mich zum Lachen, und das ist immerhin ein Plus.»
«Wenn Sie unbedingt lachen wollen, dann engagieren Sie sich doch einen Clown.»
Leilas stürmische Umarmung. «Ach, Sammy, versprechen Sie, mir immer alles ins Gesicht zu sagen. Wahrscheinlich haben Sie recht, aber ich mache eben keine halben Sachen. Nein, jetzt will ich’s genau wissen.»
Den Spaßvogel loszuwerden hatte sie zwei Millionen Dollar gekostet.
Leila über Ted: «Sammy, das kann einfach nicht dauern. So wunderbar ist niemand. Was sieht er bloß in mir?»
«Sind Sie übergeschnappt? Schauen Sie denn nicht mehr in den Spiegel?»
Leila, nach jeder Filmpremiere von Selbstzweifeln geplagt:
«Sammy, in der Rolle bin ich abgestunken. Ich hätte sie nicht annehmen sollen. Sie liegt mir nicht.»
«Reden Sie keinen Unsinn. Ich
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