Schlangenaugen
das Unterholz zurück.
In dem Scharmützel zehn Meilen vor Baton Rouge wurde Major Ellingtons Bataillon gänzlich aufgerieben. Er selbst fiel einer verirrten Kugel zum Opfer und war sofort tot. Diesmal behielten die Rebellen die Oberhand, obwohl sie sich bereits überall auf dem Rückzug befanden. Nach nicht einmal zwei Stunden herrschte plötzlich eine unheimliche Stille. Dann ein Rascheln und Knacken von Zweigen. Kurze, knappe Befehle ertönten. Die Grauröcke durchsuchten das Unterholz, drehten die Toten um, durchsuchten ihre Kleidung. Die Verwundeten erschossen sie ohne Gnade. Dann verschwanden die Konföderierten genauso plötzlich, wie sie aufgetaucht waren.
Nachdem längere Zeit alles ruhig war, ergriffen André und Joseph ihre Chance. Keinen Augenblick dachten sie darüber nach, dass sie damit eigentlich zu Deserteuren wurden. Sie schlugen sich querfeldein zu einer Farm durch, wo sie die verhasste blaue Uniform gegen Zivilkleidung tauschten, die auf einer Wäscheleine vor der Scheune hing. In den viel zu großen Leinenhemden und den zerrissenen Jeanshosen sahen sie beide wie Landstreicher aus, doch das tat ihrer neu gewonnenen Freiheit keinen Abbruch. Dennoch mussten sie vorsichtig sein und sich jenseits der Straßen halten. Einige Meilen hinter ihnen tobten bereits neue Gefechte.
Das ferne Grollen der Kanonen begleitete sie auf ihrer Flucht Tag für Tag. Endlich erblickten sie vor sich die Baumwollfelder der Cloudy Moon Plantage. Diese standen in voller Pracht, doch es war niemand da, um die zarten, weißen Blüten zu ernten. Ein faulig-brauner Schleier hatte sich bereits darüber gelegt. Über diesen wogenden Feldern, die sonst vom Gesang der Sklaven widerhallten, ertönte heute nur Vogelgezwitscher, das Zirpen der Grillen und ab und zu ein dumpfer Donner in der Ferne. Die Dämmerung zog herauf und ein Schwarm Vögel suchte seine Schlafplätze auf.
André und Joseph eilten weiter, bis vor ihnen das doppelstöckige Herrenhaus mit den weißen Säulen auftauchte. Die kleine Sklavensiedlung, die sie zuvor durchquert hatten, hatten sie menschenleer vorgefunden. Über dem gesamten Anwesen herrschte eine gespenstische Stimmung, die von den zartvioletten Abendwolken über ihnen noch verstärkt wurde. Eine Ruhe vor dem Sturm, die fast körperlich zu spüren war. Joe hatte gehofft, Mama Bo hier anzutreffen, doch die Hütten wirkten verlassen, die Feuer längst erkaltet. Und das unheilvolle Grollen rückte näher und näher. Langsam versank die Sonne im Westen und tauchte die Landschaft in ein letztes rotgoldenes Licht.
"Sieht aus, als wären alle abgehauen", flüsterte André seinem Freund neben sich zu. Dieser nickte nur. Seine dunkelbraunen Augen glitten suchend über das Gelände. Ein Huhn, das unter der Veranda gehockt hatte, lief gackernd davon, als es ihrer ansichtig wurde. Es schien das einzige Lebewesen hier zu sein. Selbst die Hunde der Aufseher waren verschwunden. André legte warnend einen Finger auf seinen Mund. In geduckter Haltung näherten sie sich der Rückseite des Herrenhauses.
"Lass uns ein paar Vorräte schnappen und dann weiter zum Fluss!", schlug André vor. Wieder nickte Joe, obwohl es ihm nicht geheuer war, das Haus seines ehemaligen Masters ohne dessen Erlaubnis zu betreten. André bemerkte sein Zögern. "Komm schon!", zischte er ihm zu und zog ihn am Ärmel weiter.
Gemeinsam traten sie durch die Hintertür. Diese führte direkt in die Küche und von dort in die Vorratskammer. Alles sah so aus, als wäre hier vor kurzem noch gebacken und gekocht worden. Ein paar Früchte faulten vor sich hin und ein Heer von Fliegen tat sich daran gütlich. Ihr Summen und das leise Knarren der Holzdielen unter ihren Füßen waren die einzigen Geräusche in diesem Raum.
Der Spieler sah sich um und griff nach einem leeren Bohnensack, den er nun mit Konserven, Zwieback und Dosenfleisch füllte. Wer weiß, wann sie wieder was zu essen bekamen. Derweil sah Joseph sich neugierig um, ging die Treppe hinauf in das Foyer, von dem aus das Arbeitszimmer und der Salon abzweigten. Dort wurden früher einmal prächtige Feste und Bälle abgehalten.
Eine weitere Treppe führte hinauf in den ersten Stock. Auf den Rahmen der Bilder, die das Foyer schmückten, hatte sich bereits eine feine Staubschicht angesammelt. Auch der Boden war schon länger nicht mehr gereinigt worden. Schmutzige Abdrücke von Stiefeln überzogen ihn. Sie führten größtenteils in eine Richtung - zu McMillans Arbeitszimmer. Joe trat
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