Schlangenblut (German Edition)
ihre Leute gar nicht gern allein, solange sie mit ihrer Arbeit noch nicht fertig waren.
Obwohl man bei dieser Art von Arbeit natürlich nie fertig wurde. Ein Problem, an das Nick sie wieder und wieder erinnerte. Aber sie war erst seit drei Monaten hier, betraut mit der Aufgabe, die jüngste SAFE -Einheit des FBI – eine behördenübergreifende Taskforce für Sexualdelikte – aufzubauen und zu leiten, und hatte noch nicht herausgefunden, wo sie die Trennlinie zwischen Privatleben und Beruf ziehen musste.
Nick schon. Nachdem er sie einen Monat lang praktisch nicht gesehen hatte – außer wenn sie ihn weckte, um danach selbst ins Bett zu gehen –, hatte er darauf bestanden, eine Art Tagesroutine einzuführen, damit sie Zeit mit ihm und Megan verbringen konnte. Was sich gut anhörte – wenn man nicht der Elternteil war, der ständig gegen diese Abmachung verstieß.
Sie warf einen Blick auf das Fahrzeug der Staatspolizei, in dem die Zwillinge strahlend Polizistenmützen ausprobierten, die ihnen ungefähr achtzehn Nummern zu groß waren. Der Wind trug ihr Lachen herüber. Sie lächelte.
»Überlassen wir diesmal den Ruhm den Staatspolizisten«, sagte sie zu Fletcher. »Ich kläre das mit Walden und Greally.«
Fletchers Stirnrunzeln zeigte, wie wenig er von ihrer Großzügigkeit hielt. Oder eher, wie wenig seiner Ansicht nach sein Chef davon halten würde.
Sein Pech! An diesem Morgen genoss sie es, auf der Seite der Guten zu stehen. Ihr Handy klingelte. Sie schaute auf die Anrufererkennung. Megan. Sie seufzte.
»Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen«, wies sie Fletcher an und ging auf den Wagen mit der Puppe auf dem Rücksitz zu. Sie klappte ihr Handy auf. »Hallo Schatz, wie ich höre, geht’s dir nicht so gut.«
»Wenn du keine Zeit hast, kann ich ja auch Dad anrufen. Mal wieder«, sagte Megan. Irgendwie schaffte es die Zwölfjährige, mehr Missbilligung in ihren Tonfall zu legen als ein Taliban, der Zeuge eines Striptease wird.
»Nein, das geht schon. Ich bin in zwanzig Minuten da.« Gott sei Dank war der Einsatz auf der richtigen Seite des Fort-Pitt-Tunnels gewesen, zudem hielt sich samstagmorgens der Verkehr in Grenzen.
»Der Arzt sagt, er muss um halb zehn ins Krankenhaus.«
»Ich weiß, Megan. Ich bringe dich hin. Versprochen.« Schweigen. »Hast du Ibuprofen genommen? Das hilft bestimmt.«
»Ja, hat Dad auch gemeint. Und dass ich viel trinken soll.«
»Gut.« Lucy ließ den Wagen an und widerstand der Versuchung, noch einmal zu ihren Leuten zu gehen und sie an das Treffen zu erinnern, das sie für den Nachmittag arrangiert hatten. Diesmal in einem Motel und somit an einem Ort, wo keine Schlangen zu erwarten waren. Zumindest hoffte sie das. Sie fröstelte und sagte sich, dass das an der Klimaanlage liegen musste. »Bin gleich da.«
»Als wir noch in Virginia gelebt haben, bin ich nie krank geworden.«
Lucy umklammerte das Lenkrad fester. »Sieh es einfach positiv: Das stärkt dein Immunsystem.«
Megan antwortete mit einem Stöhnen.
»Aber wenn du wirklich krank bist, kann ich ja deine Oma anrufen, damit sie auf dich aufpasst.« Einer der wenigen Vorteile ihres Umzugs nach Pittsburgh war, dass Lucys Mutter nur vierzig Minuten entfernt in Latrobe wohnte. Megan war immer gern mit ihrer Großmutter zusammen gewesen – bis die Pubertät über sie hereingebrochen war. Seither war alles, was mit Familie zu tun hatte, voll öde.
»Mach, was du willst«, sagte Megan und hängte auf.
Lucy legte das Handy beiseite und trat aufs Gaspedal. Vielleicht war die Belastung durch den Umzug, die neue Schule und den Fußball für Megan einfach zu viel gewesen. Noch ein Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben. Als ob es nicht schon schwer genug wäre, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen.
Andererseits, dachte sie, verdiente sie sich mit jedem Kind, das sie in ihrer Arbeit rettete, einen weiteren Penny für ihr Karma-Guthaben – eine Art Sparschwein, mit dessen Inhalt sie Megan schützen würde. Wenigstens eine kleine Entschädigung für die Zeit, in der sie ihre Familie vernachlässigte. Auch wenn sie das Nick oder Megan so nicht erklären konnte.
Sie blickte in den Rückspiegel, sah ein Auge der Puppe und zwinkerte ihr zu. »Das mit den Schlangen erzählen wir ihr aber nicht, Katie Mae, einverstanden?«
KAPITEL 4
Samstag, 9.06 Uhr
Lucy drehte ihren Ehering am Ringfinger und wischte Rubys Lippenstift ab. Als Megan sich von der Untersuchungsliege schwang, kamen ihre gebräunten
Weitere Kostenlose Bücher