Schlangenblut (German Edition)
Jungs ganz entscheidend verändert: Nachdem sie sie vorher behandelt hatte, als hätten sie Läuse, stellte sie nun Vergleichsstudien in Bezug auf Brustmuskulatur und Waschbrettbauch an. Und jetzt nahm sie sogar schon Männer wahr.
Dafür war sie selbst definitiv noch nicht bereit.
Nicht umsonst hatte sie Nick immer erklärt, dass sie sich zwar für alles zuständig fühlte, von schmutzigen Windeln bis hin zu gebrochenen Armen – aber nur bis zur Pubertät, danach sei er dran.
Schließlich war er der Psychologe und somit weitaus besser als sie geeignet, die seelischen Geheimnisse Heranwachsender zu ergründen. Er hatte sich einverstanden erklärt, mit der Begründung, dass es politisch wohl nicht korrekt war, pubertierenden Jungs, nur weil sie geil waren, gleich einen geladenen Revolver unter die Nase zu halten.
»Zumindest muss ich kein Blutbild machen lassen«, fuhr Megan fort, während sie mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Beifahrersitz saß und ihren Fuß im Takt von Led Zeppelins Black Dog schwang.
»Er hat nur gesagt, dass er das Blutbild heute noch nicht braucht.«
Zum Glück, denn Lucy verlor schon wertvolle Zeit damit, Megan nach Hause zu fahren. Aber sie musste sich sowieso umziehen; schließlich konnte sie nicht zu einem hochriskanten Einsatz gehen, solange sie – wie Megan unverblümt angemerkt hatte – wie eine Nutte aussah. Sie hätte nur zu gern noch geduscht, denn sie stank nach Schweiß, Algen und Adrenalin. Und Schlangen.
»Wenn am Montag dein Rachenabstrich negativ ist, fahren wir dich zu den Tests.«
»Aber Mom –«
»Kein Aber.«
Megans Lippen wurden blass, so fest presste sie sie zusammen. Lucy drückte Megans Schulter und strich ihr über den Arm. »Schon gut, einer von uns kommt ja mit, entweder Dad oder ich.«
Mit einem Schulterzucken schüttelte Megan ihre Hand ab. Lucy unterdrückte einen Seufzer. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann Megan sich zum letzten Mal widerstandslos von ihr hatte berühren lassen. Auf jeden Fall vor dem Umzug nach Virginia.
»Wenn es mir am Montag bessergeht, darf ich dann wenigstens Fußball spielen?«
»Mal sehen, aber ich verspreche nichts.«
Megan stieß einen so unendlich traurigen Seufzer aus, dass man hätte meinen können, Lucy hätte sie soeben zu einem schlimmeren Schicksal als dem Tod verurteilt. Lucy war froh darüber, dass Megan keine Ahnung hatte, wie glücklich sie war, wenn sie ein verpasstes Fußballspiel schon für die größtmögliche Katastrophe hielt, die das Leben zu bieten hatte.
Lucy dachte an den bevorstehenden Einsatz. Sobald sie Megan abgesetzt hatte, musste sie sich mit dem größten Alptraum einer jeden Mutter auseinandersetzen. Eine Vierzehnjährige war seit dem Nachmittag des Vortags vermisst, also bereits seit mindestens achtzehn Stunden. Ein Alptraum in verschiedener Hinsicht: Eltern geschieden; Indizien, die darauf hindeuteten, dass die Jugendliche möglicherweise ihre Spuren verwischt hatte; keine Zeugen; verspätete Vermisstenmeldung. Alles Dinge, die nicht gerade die Chancen erhöhten, das Mädchen lebend zu finden.
Offenbar verfügten die Eltern über einen gewissen Einfluss, den sie jetzt geltend machten. Da sie mit der Arbeit der örtlichen Polizei nicht zufrieden waren, hatte man den Fall – vermutlich nicht ohne eine gewisse Erleichterung – Lucy aufgedrückt.
Das war genau die Art von Fall, für die man die SAFE -Einheit und die Initiative Crimes Against Children gegründet hatte. Die Art von Fall, die nur selten ein gutes Ende nahm.
Statistisch gesehen war Ashley Yeager so gut wie tot, wenn sie gegen ihren Willen verschleppt worden war. Und wenn man sie von zu Hause weggelockt hatte, war sie entweder tot, oder sie wurde gerade darauf vorbereitet, als Prostituierte zu arbeiten.
Im günstigsten Fall war sie lediglich weggelaufen und versteckte sich jetzt im Haus einer Freundin, wo sie sich köstlich über die Aufregung amüsierte, die sie ausgelöst hatte. Aber wenn die örtliche Polizei einen Fall Lucy und ihrem Team übergab, war dieser Hoffnungsfunke in der Regel längst erloschen. Dann war mit dem Schlimmsten zu rechnen.
Sie lenkte den Subaru in die Einfahrt ihres neuen Heims, eines umgebauten Hauses im viktorianischen Stil in einem in jüngster Zeit aufgewerteten Viertel von West Homestead. Pittsburghs gesamte South Side war im Umbau begriffen; überall wurde neu gebaut oder renoviert. Sie konnten von Glück reden, dieses Haus gefunden zu haben, das so nah an Nicks Praxis
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