Schlangenblut (German Edition)
abwischen konnte. Mit zwei Fingern bediente er die Steuerung seines Rollstuhls, drehte ihn um neunzig Grad und fuhr durch die Küche. Als sie die schweren Schritte seines Vaters hinter sich hörte, drehte sie sich um.
»Er ist minderjährig, ich sollte dabei sein, um auf ihn aufzupassen.« Er stieß den Satz in einem einzigen Atemzug aus, und seine Miene verriet eine Mischung aus Besorgnis und Verwirrung.
»Nein, Pop, das ist persönlich«, widersprach Bobby, ohne stehen zu bleiben oder sich umzudrehen. Er überquerte eine breite Türschwelle zu einem anderen Zimmer.
Statt Bobby zu folgen, blieb Fegley am Küchentisch stehen und wandte sich zu ihnen um, die Handflächen nach oben. »Irgendeiner muss ja arbeiten. Und er ist so verdammt selbständig, der braucht mich nicht –«
Sie fing Burroughs Blick auf und senkte den Kopf. Er lenkte Fegleys Aufmerksamkeit auf sich, während sie sich an ihm vorbei aus seinem Gesichtskreis schlich. Fegley ließ sich auf einen Stuhl sinken, Burroughs nahm ihm gegenüber Platz.
»Bobby ist siebzehn?«, begann Burroughs. Fegley nickte. »Rein juristisch gesehen muss er keinen Elternteil dabeihaben, außer er besteht darauf. Und er hat schließlich nichts Böses getan, oder?«
»Natürlich nicht! Wie denn auch? Schauen Sie sich den Jungen doch an!«
»Wie ist das passiert?«
Fegley stieß die Luft aus und nahm einen neutralen Gesichtsausdruck an. »Zusammen mit seiner Mutter, im Auto. Er war zwölf, also ließ sie ihn auf den Beifahrersitz, ausnahmsweise. Dann ist ihnen am Hang vor Murrysville ein Schwerlaster entgegengekommen, bei dem die Bremsen versagt haben. Ihr Airbag hat ihr nicht geholfen. Dafür hat seiner verdammt gut funktioniert – hat ihm den Hals gebrochen.«
Burroughs nickte im Takt mit Fegleys auf und ab wippendem Kopf, spiegelte dessen Körpersprache. Lucy ließ sie am Küchentisch sitzen und ging in den Nebenraum. Ursprünglich als Esszimmer gedacht, war er zu einem rollstuhltauglichen Schlafraum umgestaltet worden. Den größten Teil des Zimmers nahm ein Krankenhausbett mit einer elektrischen Hubvorrichtung ein, aber im Mittelpunkt stand ein großer Computer-Flachbildschirm, der es mit allem aufnehmen konnte, was sie in ihrem FBI -Gebäude zu bieten hatten.
»Der würde meinen Jungs von der Kriminaltechnik auch gefallen«, sagte sie zu Bobby und sah zu, wie er mit dem Daumen und den ersten beiden Fingern die Maus bediente. Der Monitor erwachte zum Leben und mit ihm Bobbys Gesichtsausdruck.
»Ja, ich brauche ihn für die Schule, also hat mein Dad ihn von meinem Schmerzensgeld gekauft.«
»Sie gehen nicht auf eine normale Schule?«
»Hab ich versucht. Am Anfang. Aber« – er stockte – »es ging nicht gut. Deswegen mache ich jetzt Online-Schule.«
»Fühlt man sich da nicht ziemlich einsam?«
Seine rechte Schulter zuckte, das war offenbar alles, was er an Achselzucken zustande brachte. »Frank und Andy sind ja die meiste Zeit hier. Und dann habe ich auch noch Dad.«
»Frank und Andy?«
»Meine Pfleger. Sie helfen mir« – er schaute zu einer Tür, die in ein großes Badezimmer führte, das offenbar erst nachträglich angebaut worden war – »bei meinen täglichen Verrichtungen.«
Sie bemerkte den durchsichtigen Schlauch, der aus dem Bein seiner Shorts kam und zu einem Auffangbehälter aus Kunststoff führte. Der Junge schien sein Schicksal mit Fassung zu tragen. Besser als sein Dad, fünf Jahre nach dem Unfall. Sie nahm sich vor, Megan anzurufen, sobald sie hier fertig waren.
»Wie haben Sie Ashley kennengelernt?« Sie zog einen Schreibtischstuhl mit Rollen heran und setzte sich neben ihn, während er wieder an den Bedienelementen des Computers herumfummelte. Auf dem Bildschirm erschien eine Schrift: Shadow World.
»Hier, das ist ein MPRPG «, fügte er hinzu.
»Damit bin ich bereits überfordert.«
»Ein Multiplayer Role-Playing Game – ein Rollenspiel für mehrere Mitspieler. Der DM – Domain Master – erschafft eine Welt und die Regeln dazu, und dann kann jeder Mensch weltweit, der einen Computer und Internet hat, eine Figur erfinden und online an dem Spiel teilnehmen.«
»Und Sie und Ashley haben auch dieses Spiel gespielt?«
»Ich spiele oft so etwas. Aber Ashley hat nur dieses eine Spiel gespielt, sie war wie besessen davon. Sie hat gleich fünf verschiedene Figuren benutzt.«
»Um jeder sein zu können, der sie sein wollte?«, vermutete Lucy.
»Genau. Ehrlich gesagt« – er errötete – »mag ich Shadow World
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