Schlangenblut (German Edition)
Gehsteig auf ihn. Ihr kleiner Subaru wirkte ausgesprochen mickrig neben dem so offensichtlich zivilen Polizeifahrzeug.
»Willi Stargell hat mal hier gewohnt.« Burroughs deutete auf den einstöckigen Klinkerbau vor ihnen. Sie gingen die Einfahrt entlang. Das Haus verfügte über eine lange Eingangsterrasse mit einer Rollstuhlrampe.
»In diesem Haus?«, fragte sie, während sie die welligen Dachschindeln ebenso registrierte wie die fleckigen, durchhängenden Regenrinnen.
»Glaube ich eher nicht. Aber in diesem Block oder vielleicht im nächsten.«
Mit Burroughs’ Detailwissen in Sachen Baseball war es also doch nicht so weit her. Lucy klingelte. Die Haustür stand offen, nur eine mit weiß lackierten, schmiedeeisernen Kringeln verzierte Fliegengittertür versperrte ihnen den Weg ins Innere. Sie schaute hinein. Ein langer, schmaler, mit Eichendielen ausgelegter Flur führte in den hinteren Teil des Hauses, der im Dunkeln lag.
Ein Mann erschien und drückte auf einen Lichtschalter. Nun sah sie, dass der Raum eine Küche war. Er stampfte durch den Flur, als stiege er eine Treppe hoch, während sein Bierbauch unter seinem Steelers-T-Shirt hin und her wabbelte. Er trug Bermuda-Shorts von der Art, wie sie Männer in einem gewissen Alter und mit einer bestimmten Figur grundsätzlich niemals tragen sollten, und weiße Socken sowie schmutzige Flipflops.
»Ja?«, begrüßte er sie.
»Detective Burroughs«, stellte Burroughs sich vor und präsentierte seine Polizeimarke. »Ist Robert Fegley da?«
»Wo soll er denn sonst sein? Was wollen Sie von Bobby?«
»Wir müssen mit ihm reden.« Burroughs öffnete die Fliegengittertür, ohne darauf zu warten, hereingebeten zu werden. Der Mann, der etwa Mitte vierzig sein musste, verzog den Mund, als hätte er soeben abgestandenes Bier geschluckt, und verstellte ihnen weiter den Weg. »Und wer sind Sie?«
»Sein Vater. William Fegley. Er hat nichts getan.«
Lucy ignorierte die beiden Männer. Sie interessierte sich mehr für die Schatten an der Küchenwand hinter ihnen. Ein Motor surrte, und der Schatten von Kopf und Körper eines Mannes, auf groteske Weise verzerrt vom Einfallswinkel des Lichts, wurde sichtbar. Er schien viel zu weit unten an der Wand und bewegte sich langsam nach oben, während er größer wurde. Er erinnerte sie an das Ungeheuer, gegen das der Junge und das Mädchen in Ashley Yeagers Zeichnung ankämpften. Ein grotesker Dämon, halb Mensch, halb Maschine.
Das Surren hörte auf. Aus der Küche rief eine Männerstimme: »Wer ist das, Dad?«
»Die Bullen. Sie wollen –«
»Habt ihr Ashley gefunden?« Die unsichtbare Stimme überschlug sich fast vor Erregung und klang auf einmal jungenhaft. Das Surren setzte wieder ein, nun höher, als würde ein Motor an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit getrieben. Lucy drängte sich rechtzeitig an Fegley vorbei, um zu sehen, wie der Schatten in sich zusammenfiel.
Ein motorisierter Rollstuhl kam um die Ecke gefahren und füllte den schmalen Korridor aus. »Wo ist Ashley? Geht es ihr gut?«
Der junge Mann im Rollstuhl war groß, aber extrem hager. Seine spindeldürren Beine waren mit Klettverschlüssen an weiße Plastikschienen geschnallt, die aus einer Turnhose ragten. Seine Arme waren ähnlich abgemagert, eine Hand mit Hilfe eines weiteren Klettverschlusses an der Steuerung des Rollstuhls befestigt. Das einzig Lebendige an ihm war sein Gesicht, während sein übriger Körper stocksteif und mit Gürteln und Schnallen im Rollstuhl befestigt war. Sein Gesicht aber … sein Gesicht war das eines Engels.
Ashleys Engel. Aus ihren Bildern. Blondes, welliges, bis auf die Schultern fallendes Haar, eine Haut, deren Blässe weder durch einen Bartschatten noch durch zu viel Sonne beeinträchtigt wurde, kristallblaue Augen, die sich in Lucy bohrten, als habe sie allein die Antworten, die er brauchte.
»Ashley?«, sagte er erneut und sackte im Rollstuhl in sich zusammen, während sich Schatten über sein Gesicht schoben.
Sein Vater stieß einen erstickten Laut aus, blieb aber reglos stehen, als Lucy an ihm vorbei zu Bobby Fegley trat. Nun sah sie seine Tränen. Zwei Spuren des Kummers, die mehr von Herzen kamen als alles, was sie bei den Yeagers beobachtet hatte.
»Bobby, ich bin Lucy Guardino. Ich arbeite beim FBI und soll Ashley Yeager finden. Können wir uns irgendwo unterhalten? Ich brauche Ihre Hilfe.«
Er nickte und drehte das Gesicht so weit zur Seite, dass er es an dem Frottierhandtuch über seiner Nackenstütze
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