Schlangenblut (German Edition)
Flur hinaus, stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und richtete sich auf. Atmete ein, atmete aus, drückte die Handfläche auf den Bauch, um die Luft herauszupressen, und versuchte vergeblich, ihre Ängste und Befürchtungen gleich mit auszuatmen. Megan brauchte sie jetzt. Kein guter Zeitpunkt für Erinnerungen oder Schwäche.
Als sie Zimmer 402 fand, war das Bett leer. Nick saß in einem Sessel am Fenster und drückte träge auf der Fernbedienung für den unter der Decke angebrachten Fernseher herum. Lucy blieb in der Tür stehen und musterte ihn. Da Nick immer ruhig blieb, war sie nicht überrascht, dass er saß, statt unruhig im Zimmer auf und ab zu tigern, wie Lucy es an seiner Stelle getan hätte. Aber er machte sich trotzdem Sorgen, sonst würde er nicht so ohne Sinn und Verstand herumzappen.
»Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte«, sagte sie. Er blickte auf und ließ die Fernbedienung los, so dass diese am Kabel baumelte, das an dem großen Krankenhausbett befestigt war. »Wo ist Megan? Was haben die Ärzte gesagt? Wird sie wieder gesund?«
»Computertomographie. Sie wollten mich nicht mitkommen lassen.« Er stand auf.
»Computertomographie? Wieso denn das? Was fehlt ihr denn?«
»Die Ärzte meinten, es wäre nur ein Ohnmachtsanfall gewesen. Aber sie hatte wieder Fieber, als wir hier eintrafen.«
»Fieber? Hast du nicht Fieber gemessen, bevor ihr aus dem Haus seid?« Sie hasste die Verärgerung, die in ihrer Stimme mitschwang, konnte aber nichts dagegen tun. Sie musste auf jemanden einschlagen, und als Opfer bot sich nur Nick an.
»Klar hab ich Fieber gemessen. Es ging ihr gut.« Seine Stimme war aufreizend ruhig. »Sie müssen noch mehr Untersuchungen machen, um herauszufinden, was ihr fehlt.«
»Untersuchungen? Willst du damit sagen, dass sie nicht wissen, was mit ihr los ist?« Panik mischte sich in ihre Verärgerung.
Nick trat auf sie zu und nahm sie in die Arme. Hielt sie fest, zu fest. Trotz seines gleichmäßigen Tonfalls spürte sie die Anspannung, die in Wellen von ihm ausging. »Sie meinten«, sagte er mit plötzlich brechender Stimme, »sie haben gesagt, sie wollten sie unter anderem auf Krebs untersuchen.«
»Krebs? Mein Gott, Nick, warum hast du mich nicht angerufen? Nein, das kann nicht sein –« Das Wort traf sie härter als ein Schlag ins Gesicht. Plötzlich traten ihr Tränen in die Augen, und das Zimmer schien sich um sie zu drehen und in sich zusammenzubrechen.
»Sie sind sich nicht sicher, sie wollten es nur ausschließen. Ganz sichergehen. Ich habe versucht, dich anzurufen, aber mein Akku war plötzlich leer, und als –« Er hielt inne und sah sie verblüfft an, während er ihr den Pony von der Stirn strich. »Ist das Blut? Mein Gott, bist du verletzt?«
Sie fuhr sich mit der Hand durch die klebrigen Haare. An der Stelle, mit der sie Ivan den Kopfstoß versetzt hatte, bildete sich eine Beule, aber sie spürte keine Blutung. »Mir geht’s gut. Wann bringen sie Megan zurück? Ich will mit den Ärzten sprechen –«
Er hielt sie am Handgelenk fest und führte sie vom Bett weg und ins Bad. »Sie haben mir bisher immer sofort Bescheid gegeben, sobald sie etwas wussten. Dass du hier reinplatzt, hilft uns auch nicht weiter.«
Sie blinzelte im hellen Licht und sah Flecken getrockneten Bluts auf ihrem Gesicht und ihrer Stirn. Wortlos wie bei einem Kind hielt Nick einen Waschlappen unter fließendes Wasser und begann, das Blut und die Schichten schweißverklebter Schminke abzuwaschen. Sie ließ es über sich ergehen, weil sie noch immer zu zittrig und zu aufgeregt war, um es selbst auf einigermaßen ordentliche Weise zu schaffen.
»Was ist denn passiert?«
»Eine Zielperson wurde ein bisschen frech, also habe ich ihm die Nase gebrochen.« Sie setzte sich auf die Arbeitsplatte neben dem Waschbecken, doch es gelang ihr nicht, seine Seufzer zu verdrängen, als seine Finger die Schwellung auf ihrer Kopfhaut fanden. »Mit meinem Kopf.«
»Und ich dachte immer, der Umzug und deine Beförderung sollten bewirken, dass du solche Einsätze nur noch aus sicherer Entfernung leitest.«
»Nick –« Sie hatten dieses Gespräch in den letzten drei Monaten schon zu oft geführt, und sie war nicht in der Stimmung, wieder von vorn anzufangen.
»Lulu, ich kann mir nicht gleichzeitig über dich und Megan Sorgen machen«, erklärte er mit tiefer Stimme und deutlichem Südstaaten-Akzent. Nie war Nick dem Zustand der Erregtheit näher gekommen.
Sie umfasste seine Hand mit beiden
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