Schlangenblut (German Edition)
Legitimation steckt in meiner Handtasche, ebenso meine Dienstwaffe.«
Sie zuckte so mit den Schultern, dass ihre Handtasche zu Boden fiel. Beide Wachleute erschraken, als sie auf dem Boden auftraf.
Einen Augenblick lang dachte Lucy, sie würden sie erschießen. Ihr Puls setzte aus, und ihr brach der Schweiß aus. Ein Arzt steckte schnell den Kopf aus einem der Untersuchungsräume und zog ihn noch schneller wieder zurück.
Lucy schob ihre Tasche mit einem Fußtritt zum ersten Wachmann. »Bitte, ich will doch nur meine Tochter sehen. Sie heißt Megan Callahan. Ich bin Supervisory Special Agent Lucy Guardino. Mein Mann ist Nick Callahan. Sie wurde in einem Krankenwagen hergebracht –«
Während sie sprach, bückte sich der Wachmann misstrauisch und holte erst ihre Pistole und dann ihre Legitimation aus der Tasche. Er schlug ihren Ausweis auf und nickte schließlich.
»Sie sagt die Wahrheit«, erklärte er und steckte seine Waffe wieder ins Holster. Lucy stieß erleichtert die Luft aus, als auch der zweite Wachmann, der nervösere von beiden, seinem Beispiel folgte.
»Tut mir leid«, sagte sie, redlich bemüht, nicht zu verärgert zu klingen. Der erste Wachmann reichte ihr Dienstausweis und Handtasche. »Ich bin zum ersten Mal hier und habe mir solche Sorgen um Megan gemacht.«
»Schon gut, aber das nächste Mal halten Sie sich besser an die Regeln, Lady«, meinte der zweite Wachmann, noch immer im Sopran. »Nur weil Sie vom FBI sind, macht Sie das noch lange nicht zu was Besonderem.«
»Wir müssen beide Waffen im Tresor aufbewahren, solange Sie hier sind«, erklärte der erste und streckte die Hand nach der 32er aus. Lucy gab sie ihm. Sie fühlte sich fast wie nackt und konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie das letzte Mal außerhalb ihres Hauses unbewaffnet gewesen war. »Wenn Sie mit mir kommen, finde ich heraus, wo Ihre Tochter ist, und dann schreibe ich Ihnen eine Quittung aus.«
Lucy folgte ihm widerspruchslos, wenn auch verärgert über die zusätzliche Verzögerung. Angesichts der feindseligen Blicke aus den Untersuchungsräumen sowie vom Personal und den Patienten, die nach und nach wieder im Wartezimmer eintrudelten, kam sie zu dem Schluss, dass Widerspruch zwecklos war.
Zum Glück schien der Wachmann wenigstens mit dem Papierkram vertraut zu sein. Er schloss beide Waffen in einem kleinen Safe hinter dem Schalter des Sicherheitsdienstes im Hauptbüro ein, druckte Lucy einen Besucherausweis aus und fand Megan im Computer. »Ja, sie ist hier«, bestätigte er. »Dritter Stock, Zimmer 402.«
Sie bedankte sich und steckte sich den Besucherausweis an. »Und nochmals Entschuldigung wegen vorhin.«
»Der größten Aufregung hier seit Jahren. Ich hoffe, Ihrer Tochter geht es gut.«
***
Lucy fuhr allein im Aufzug, einer Stahlkabine, die sich nur stockend bewegte, als wollte sie niemanden durch allzu hohe Geschwindigkeit verschrecken. Sie ließ sich erschöpft in eine der hinteren Ecken sinken. Die Tatsache, dass sie jetzt schon zum zweiten Mal an diesem Tag mit Schusswaffen bedroht worden war, setzte ihr ebenso zu wie die Angst um Megan und die Schuldgefühle, die sie plagten, weil sie nicht bei ihr gewesen war. Kalter Schweiß glänzte auf ihrer Haut und ließ ihren gesunden Teint im Neonlicht bleich erscheinen, während ihr die Kopfschmerzen die Kiefer zusammenpressten.
Atmen, riet Nick ihr in solchen Momenten immer. Einfach nur atmen. Leichter gesagt als getan, wenn sich die Lungen anfühlten wie mit Klebeband umwickelt und das Herz ihr mit seinem heftigen Pochen die Kehle zudrückte.
In einem Krankenhaus zu sein machte die Sache auch nicht besser. Zu viele Erinnerungen stiegen in ihr hoch, Erinnerungen an die Zeit, als sie in Megans Alter gewesen war. Sie hatte praktisch im Zimmer ihres Vaters gewohnt, wann immer ihre Mutter in jenem Sommer bei der Arbeit gewesen war. Die Schwestern hatten sämtliche Augen zugedrückt, wenn sie durch die Flure gelaufen war, um Zeitungen und Zeitschriften zu holen für ihren Vater und andere Patienten, die ihre Beweglichkeit zu schätzen wussten. Und dann waren da natürlich noch die zahllosen Ausflüge zum Markt auf der anderen Straßenseite gewesen. Ihr kleines Geheimnis, hatte ihr Vater augenzwinkernd gesagt, was Lucy das Gefühl vermittelt hatte, erwachsen, verwegen und tapfer zu sein.
Ihr Magen kam ins Schlingern, als der Aufzug hielt und sich die Türen öffneten. »Dritter Stock, Pädiatrie«, verkündete eine körperlose Stimme.
Lucy taumelte auf den
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