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Schlangenhaus - Thriller

Schlangenhaus - Thriller

Titel: Schlangenhaus - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Finsternis, doch der Strahl der Taschenlampe ließ das übliche Inventar einer Sakristei erkennen: den Schreibtisch des Pfarrers, das Ehestandsregister, Schränke, ein Bücherregal, einen Kleiderschrank für die verschiedenen Ornate, die der Pfarrer brauchte, sogar ein kleines Waschbecken mit einem rostigen Kessel daneben. Nichts, was ich nicht erwartet hätte. Ich steckte den Schlüssel in die Tasche und schloss die Tür hinter mir. Zu meiner Linken befand sich ein weiterer Bogengang, der zu der gewundenen Treppe führte. Wenn es sich bei dieser Kirche um das normannische Bauwerk handelte, für das ich sie hielt, dann war sie irgendwann im 12. oder 13. Jahrhundert erbaut worden. Der ursprüngliche Turm dürfte kleiner gewesen sein und nur etwa ein Stockwerk über das Hauptgebäude hinausgeragt haben. Später, ungefähr im 15. Jahrhundert, als es Sitte wurde, Kirchenglocken zu läuten, wurden die Türme höher gebaut, um einen Glockenstuhl zu beherbergen. Zwei weitere Räume befanden sich über dem, in dem ich stand.
    Die Stiege war schmal, kaum breiter als einen halben Meter, und sehr steil. Hier und da hatten die Schritte der Jahrhunderte den weichen Stein abgerieben, und ich hoffte, ich würde diese Treppe nicht in aller Eile hinunterrennen müssen. Langsam stieg ich hinauf, trat auf die Überreste von Dohlennestern, drängte mich an Spinnweben vorbei und lauschte die ganze Zeit angestrengt, bis ich das erste Obergeschoss des Turms erreichte: die Läutkammer.
    Sie war leer, bis auf die acht Glockenstränge, die von der Decke hingen und wie das Netz einer gewaltigen Spinne zu einem zentralen Punkt zusammenliefen. Handglocken standen
auf Wandborden, und auf hölzernen Tabletts lagen verblichene Notenblätter. Als ich nach oben schaute, konnte ich kleine Löcher in den groben Deckenbohlen sehen, durch die die Stränge herabhingen.
    Ich stieg weiter die Treppe hinauf.
    Acht große Bronzeglocken, deren mächtiger Klang seit Jahrzehnten verstummt war, hingen regungslos im letzten und größten Raum des Turms. Jede war von dem feinen weißen Kalkstaub bedeckt, der hier bei starkem Wind übers Land geweht wird. Doch ich würdigte sie kaum eines Blickes. Von dem Augenblick an, als ich die letzte Biegung der Treppe umrundete und in der Tür stand, hatte sich mein Blick auf etwas in dem kleinen Teil des Glockenbodens geheftet, der nicht von dem Geläut eingenommen wurde.
    Da ich nicht näher herangehen wollte, ließ ich den Strahl der Taschenlampe über die Umrisse des schweren Holzstuhls gleiten. Er war grob zusammengezimmert, die einzelnen Teile mit dicken Eisennägeln aneinandergefügt, doch er sah sehr stabil aus. Die Armlehnen waren breit und dick, die Beine gedrungen und stämmig. Vier Lederfesseln mit dicken Stahlschnallen waren an die Armlehnen und die vorderen Beine genagelt worden.
    »Es hieß, sie hätten ihn festgeschnallt und ihn hungern lassen. Tagelang, sogar wochenlang.«
    Bis zu diesem Augenblick hatte ich die Idee, dass Gegenstände von Bösartigkeit beseelt sein könnten, als lachhaft abgetan, doch als ich diesen Stuhl betrachtete, blitzten grauenvolle Bilder in meinem Kopf auf: ein gefesselter Gefangener, der seine Wut zum Himmel hinaufbrüllte, ein junger Mann, zusammengesunken, verzweifelt, ausgehungert und dem Tode nahe, während Blut aus den Wunden an seinen Knöcheln und Handgelenken sickerte. Ich glaube, in jenen wenigen Sekunden fürchtete ich mich mehr als je zuvor in meinem Leben.
    »Manchmal haben sie ihn in die Kirche gebracht, und sie haben mit ihm gebetet, stundenlang, und versucht, den Dämon auszutreiben.
Tage später hat man Ulfred dann herumhinken sehen, immer noch genauso wie vorher, aber mit ganz aufgeschürften, blutigen Handgelenken.«
    »Das ist lange her, Clara«, murmelte ich vor mich hin.
    Es war schwer, den Stuhl weiter anzusehen. Und noch schwerer, sich von ihm abzuwenden. Also blieb ich, wo ich war, und leuchtete langsam mit der Taschenlampe den Glockenboden ab, die nackten Dielen zu meinen Füßen, an den Wänden entlang zur spinnwebenüberzogenen Decke hinauf. Ich glaube, ich habe in diesem Moment laut aufgestöhnt, und der leise Laut schien von den alten Glocken widerzuhallen. Noch mehr Fabelwesen, insgesamt vier, eine in jeder Ecke, wo die Mauer an das geneigte Dach stieß. Eine abstoßende Kreatur, fast siebzig Zentimeter groß, mit dem Torso eines Affen und dem Schwanz und den Krallen einer Katze, starrte mich von der gegenüberliegenden Mauer herab an. Ihre wütenden

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